zum Hauptinhalt
Mit Stachel. Bei den jungen Grünen in Friedrichshain ist der Zulauf Interessierter groß. Viele wollen aber lieber die Welt verändern als über Radwege diskutieren. Foto: Paul Zinken

© Paul Zinken

Grünen-Nachwuchs: Von der Schulbank ins Rathaus

Bei den Wahlen 2011 könnten die Grünen ihre Sitze in einigen Bezirken verdoppeln. Deshalb wird schon jetzt Nachwuchs gesucht.

Es ist ein eher unauffälliger Raum in der Dirschauer Straße in Friedrichshain, von dem demnächst durchaus starke Impulse für Berlin ausgehen könnten. Der Duft von Tee liegt in der Luft, jemand verteilt Bananen und vegane Reisschokolade mit Kaffeegeschmack. Nach und nach strömen immer mehr Leute in die Geschäftsstelle der Grünen Jugend Berlin. Auch an diesem Abend können die beiden Vorstände Armin und Felix viele neue Gesichter begrüßen. Die grüne Idee erlebt einen regelrechten Boom. Sie könnte Berlin einen Politik- und den Grünen womöglich einen Generationenwechsel bescheren. Denn besonders viele junge Kandidaten haben ab nächstem Herbst Aussicht auf Plätze in den Bezirksverordnetenversammlungen.

„Mich schockieren Menschen, die andere Menschen für den Staat verprügeln“, stellt sich eine der Junggrünen den anderen Aktiven vor. Diskutiert wird gerade mal wieder der Protest gegen die Castor-Transporte im Wendland. Nicht alle hier wollen in die Politik, aber alle wollen sich einmischen, Dinge verändern. Die Grünen brauchen sie. Auch, wenn der Trend derzeit eher nach unten zu gehen scheint: Während die Partei im Herbst laut Umfragen bei fast 30 Prozent lag, erreichen die Grünen nach aktuellen Prognosen nur noch 25 Prozent. In einigen Bezirksverordnetenversammlungen könnten sich ihre Sitze dennoch verdoppeln. Und deshalb hat bereits die Suche nach geeigneten Kandidaten begonnen.

„Auffällig ist, dass die Leute, die heute zu unseren Treffen kommen, viel jünger sind, als noch vor ein paar Jahren“, sagt Daniel Wesener. Er ist Fraktionssprecher der Grünen in Friedrichshain-Kreuzberg. Es ist einer von etwa fünf Bezirken, die bisher Mentorenprogramme für Neulinge anbieten. Ein Blick in den BVV Alltag soll Illusionen nehmen und Verständnis für kommunalpolitische Arbeit schaffen. Clara Herrmann, die ebenfalls in Friedrichshain antritt, weiß, was vom visionären Charme grüner Ideen übrigbleiben kann, wenn sie erst einmal in Beamtendeutsch formuliert und in Gesetzestext gegossen sind. Mit 25 Jahren ist sie das jüngste Mitglied des Abgeordnetenhauses. Und das bedeutet zunächst: viel lesen, viele Dokumente wälzen. „Manchmal hat man das Gefühl, die ganze Zeit in Sitzungen zu verbringen. Es ist wichtig sich seinen Aktionismus zu bewahren, auf Demos zu gehen, sich treu zu bleiben“, sagt Herrmann. Aber längst nicht alle bei der grünen Jugend sind bereit zu diesem Spagat. „Neben den Leuten die parlamentarische Verantwortung übernehmen wollen, besteht für viele der Reiz auch darin ‚Stachel' zu sein und so die Meinungsbildung in der grünen Partei zu beeinflussen.“ Doch ab kommenden Herbst brauchen die Grünen voraussichtlich keine Stachel, sondern Leute, die Spaß an Verkehrsausschüssen und Diskussionen über Sickergruben haben.

Die 19-jährige Isabel Reh ist so jemand. Die Atomproblematik, Frauenpolitik und Basisdemokratie haben sie vor rund zwei Jahren zu den Grünen gelockt. Nun möchte sie in der BVV Tempelhof-Schöneberg für mehr Fahrradstraßen eintreten. Die Jungen, sagt sie, seien in der Politik bisher unterrepräsentiert und es klingt ein bisschen nach Drohung, wenn sie sagt: „Die Forderungen der Altgrünen gehen uns eben meist nicht weit genug.“

Auch die Pankower Fraktionsvorsitzende Stefanie Remlinger wird diesen neuen Wind noch zu spüren kriegen. Hier ist der Bedarf an Kandidaten für die BVV groß und der Andrang an Freiwilligen noch größer. Werbung für ihr Mentorenprogramm, das Interessenten auf die Fraktionsarbeit in der Verordnetenversammlung vorbereiten soll, hat sie nach einem Tag wieder eingestellt. Zu viele Bewerber. Die meisten, sagt sie, seien ebenfalls Mitte bis Ende Zwanzig. Angst, dass nicht genug geeignete Kandidaten für alle Listenplätze dabei sein könnten, hat sie nicht. „Im Gegenteil haben wir jetzt den Luxus, aus einer Vielzahl von Bewerbern auswählen zu können.“ Seit Januar letzten Jahres verzeichnen die Grünen berlinweit einen Mitgliederzuwachs von 7,9 Prozent. In Neukölln, wo der Andrang am größten ist, sogar um 13,4 Prozent.

Wohl auch, weil die Chancen gut stehen, tatsächlich ins Bezirksparlament einzuziehen. Neun grüne Sitze sind es derzeit in Steglitz-Zehlendorf. Nach der nächsten Wahl könnten es bis zu 20 werden. Der 21-jährige Robin Knäpper möchte sich deshalb für die Wahlliste zur Verfügung stellen. Auch wenn ihm klar ist, dass er damit seinem wichtigsten Ziel, dem Atomausstieg, nicht näher kommen wird. „Zugegeben, in der BVV kann ich meine Visionen nicht vorantreiben.“ Aber Verantwortung zu übernehmen, dass sei trotzdem wichtig.

Mit dieser Einstellung ist er in Steglitz-Zehlendorf nicht allein. Jonas Botta will ebenfalls kandidieren. „Ich weiß, dass das kein spaßiger Job ist. Und wegen 300 Euro macht das auch niemand“, sagt er. Doch die BVV-Fraktion sei überaltert. 50 Plus im Durchschnitt. Es sei Zeit für junge Ideen. Botta selbst schafft es gerade noch so in den Generationenwechsel. Im August wird er 18.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false