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© Klaas

Entwicklungshilfe für Wedding: Gute Schulen gegen schlechten Ruf

Das Brunnenviertel in Wedding gilt als Problemkiez. Viele Familien ziehen weg. Mit einem Bildungsverbund will die Wohnungsgesellschaft Degewo das ändern

An Grünflächen mangelt es nicht im Weddinger Brunnenviertel, auch nicht an Sportplätzen. Mit der U-Bahn braucht man keine zehn Minuten zum Alexanderplatz. Und dennoch: Das Viertel gilt als Problemkiez. „Kaum einer zieht freiwillig hierher“, sagt eine junge Frau, die seit Jahren hier lebt, weil es billig ist. Rund 90 Prozent der Bewohner haben einen Migrationshintergrund, viel Geld hat hier keiner zur Verfügung. Viele Appartements stehen seit Jahren leer – auch, weil Familien ihre Umzugskisten packten, sobald sich ihre soziale Lage verbesserte. Denn gutes Deutsch, davon zeigten sich auch Eltern mit Migrationshintergrund überzeugt, lernen die Kinder im Brunnenviertel nicht. „Die Menschen haben das Viertel verlassen, weil ihre Kinder hier keine Integrationschancen haben“, sagt Eduard Heußen vom Stadtforschungsinstitut Empirica. Im Auftrag der Wohnungsgesellschaft Degewo hat Heußen weggezogene Familien befragt.

Die Degewo besitzt im Brunnenviertel 5000 Wohnungen. Aus den Interviews hat die Wohnungsbaugesellschaft Konsequenzen gezogen: Um die soziale Mischung im Brunnenviertel zu verbessern, mussten die Lebensbedingungen verändert – und vor allem der Ruf der Schulen verbessert werden: „Die Bildungseinrichtungen waren nicht mehr attraktiv, die Lehrer fühlten sich alleingelassen“, sagt Degewo-Vorstand Frank Bielka. Vor zweieinhalb Jahren gründete der Wohnungseigentümer deshalb einen Bildungsverbund, in dem sich die Schulen des Viertels zusammentaten, um die Herausforderungen von Migration und Integration gemeinsam anzupacken.

Die Schulleiter und Lehrer der Vineta-, Gustav-Falke-, Humboldthain- und Heinrich-Seidel-Grundschule, der Ernst-Reuter- und Willy-Brandt-Gesamtschule und des Diesterweg-Gymnasiums treffen sich seitdem regelmäßig in verschiedenen Arbeitsgruppen. Eine Gruppe beschäftigt sich mit Strategien der Sprachentwicklung, eine andere mit Fragen der Personalentwicklung, eine dritte mit der Schülermotivation.

Der Verbund will die Bedingungen für einen erfolgreichen Unterricht verbessern. Zum Beispiel durch Mütterklassen, in denen Eltern parallel zum Unterricht ihrer Kinder Sprachunterricht erhalten. Oder durch gemeinsame Sprachstandserhebungen in der ersten, dritten, sechsten und siebten Klasse. Die Schulen im Brunnenviertel müssen viel mehr leisten als nur die Vermittlung von Unterrichtsstoff. Frank Bielka und Eduard Heußen propagieren deshalb das Modell „Andere Schule“: „Jeder Lehrer muss sich als Sprachlehrer verstehen, auch, wenn er eigentlich Mathematik unterrichtet“, sagt Projektkoordinator Eduard Heußen. Außerdem müsse die Schule die Integrationsfunktion der Eltern übernehmen, und die Lehrer müssten besser als Team zusammenarbeiten. „Im Moment liegt die pädagogische Verantwortung allein beim Klassenlehrer“, klagt Heußen. Darüber hinaus hält Heußen mehr Autonomie der Schulen für notwendig: „Und die Schule muss von Anfang an Berufsorientierung geben.“ Außerdem müssten die Lehrer ihre interkulturelle Kompetenz verbessern. Nur so könnten sie die Lebensumstände ihrer Schüler realistisch einschätzen.

Die Schulen haben gute Erfahrungen mit dem Bildungsverbund gemacht. Die Skepsis von Eltern aus anderen Vierteln, zum Bespiel dem benachbarten Prenzlauer Berg, nimmt ab, doch sie ist längst noch nicht verschwunden. „Wir wollen uns besser mit den Kitas vernetzen“, sagt Karin Müller, die Direktorin der Gustav-Falke-Grundschule. Die Kitas sollen mit ihren Vorschulgruppen zu Schnupperbesuchen in die Schule kommen.

Auch für Wilfried Kauert, den Leiter der Willy-Brandt-Gesamtschule, sind die Arbeitsgemeinschaften ein „nicht mehr wegzudenkender Bestandteil“ seiner Arbeit. Die Schulen seien sich durch die wöchentlichen Sitzungen näher gekommen, sagt Kauert, dessen Schule für ihre Integrationsprojekte ausgezeichnet wurde.

Projektkoordinator Eduard Heußen hofft, dass das Interesse an den Schulen im Brunnenviertel weiter steigt: „Diese Schulen müssen attraktiv werden, denn hier lernen Kinder, mit der Gesellschaft umzugehen.“ Die Degewo will ihr Engagement fortsetzen – in der Gropiusstadt in Neukölln und der Kreuzberger Naunynstraße, wo sie 1100 Wohnungen besitzt.

Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) bewertet das Engagement der Degewo positiv. Regionale Bildungsverbünde, an denen sich Partner der Öffentlichkeit, Wirtschaft und Zivilgesellschaft beteiligten, eröffneten „die Chance zur Verwirklichung tatsächlicher gemeinsamer Verantwortung für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen“, sagte er während eines Besuchs im Brunnenviertel.

Der Bildungsverbund ist nicht das erste Projekt, dass die Degewo im Brunnenviertel angestoßen hat: Schon 1999 richtete der Wohnungsbaugesellschaft dort ein Stadtteilmanagement ein, das unter anderem kiezorientierte Gewalt- und Kriminalitätsprävention organisiert.

Vorstand Frank Bielka sieht die Degewo als starken Partner. „Ich glaube, dass kommunale Gesellschaften vor Ort etwas leisten sollten“, sagt er. Uneigennützig sei dieses Engagement aber selbstverständlich nicht: „In erster Linie wollen wir natürlich mehr Mieter im Brunnenviertel.“ Die Zahl der vermieteten Wohnungen sei bereits wieder gestiegen. Rita Nikolow

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