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Mushido, Kalle und Co.: Das Ensemble des Prime Time Theater in Rollen der 10-Jahre-Jubiläumsshow

© Doris Spiekermann-Klaas

"Gutes Wedding, schlechtes Wedding": In der Nische, mittendrin

Die herrlich durchgeknallte Theater-Sitcom „Gutes Wedding, schlechtes Wedding“ feiert mit einer Best-of-Show am Prime Time Theater ihren zehnten Geburtstag. Sie ist längst ein Weddinger Aushängeschild.

Es ist zum Schreien. Nicht nur für Aggro-Andi. Der schreit ja sowieso fast nur, in den dunklen Klagelauten eines leidenden Teenagers. Kein Problem für Uwe Gammerdinger, den Vertretungslehrer aus dem „Prenzlauer Württemberg“, der das Problem umgehend erkennt, die unterdrückte Sexualität, tief drinnen, und sich eingehend um Aggro-Andi kümmert, ebenso wie um die anderen Schüler der „High School Wedding“, um den verkifften Curly also, der wieder mal zu spät in die Klasse geschlumpft ist, die rotzige Punkerin Ratte und auch die ausdauernd kichernden Cheerleader B und C.

Das Biotop Wedding und seine äußeren Einflüsse, auch darum geht es in der Theater-Sitcom „Gutes Wedding, schlechtes Wedding“ (GWSW), die derzeit mit einer Jubiläums-Inszenierung am Prime Time Theater ihren zehnten Geburtstag feiert. Vor 35 Leuten haben sie damals angefangen, 2003, als der Wedding noch ein anderer war und Berlin sowieso, „klein und naiv, ein Experiment“, so beschreiben es im Rückblick die beiden Gründer, Constanze Behrends und Oliver Tautorat, die auch heute noch in wechselnden Rollen bei fast allen Szenen mit auf der Bühne stehen, nur mittlerweile kommen 220 Besucher pro Abend oder noch mehr, wenn sie, wie nun zum Zehnjährigen, noch ein bisschen aufstuhlen.

Ein äußerer Einfluss, das sind auch Behrends und Tautorat mal gewesen, zugezogen in diese Stadt wie so viele davor und danach, aber sie haben es nicht gemacht wie Regisseur Claudio Fabriggio aus GWSW, der selbst die Bestellung seiner Latte mit größtmöglicher Großkotzigkeit inszeniert und seine Eso-Freundin („Ich fühl' dich!“) noch auf dem Cafétisch einen Orgasmus vorspielen lässt, für eine Rolle in seinem nächsten Stück, das natürlich nie auf die Bühne kommen wird, schon alleine deshalb, weil es Claudio viel zu sehr „stresst, wenn einer mehr Fokus zieht als ich“.

Nein, der Würzburger Tautorat und die Wittenbergerin Behrends sind nicht in einen dieser Plüschkieze gezogen. Sie sind mittenrein, in den Wedding, ins Sein statt in den Schein. Zu einer Zeit, als der „Spiegel“ noch von einer „No-Go-Area“ schrieb, wie Tautorat betont, gründeten sie ihr Prime Time Theater, das nun im Kurt-Schumacher-Haus der SPD beheimatet ist, der Eingang an einem kleinen Seitenarm der Müllerstraße, mittendrin, aber doch in der eigenen Nische, so gefällt ihnen das.

Hier also werden sie dann Abend für Abend lebendig, die ganzen schrägen Charaktere, um 20.15 Uhr, Prime Time eben: Rapper Mushido („aus Zehlendorf-Ghetto!“), Vokuhila-Postbote Kalle, Dönermann Ahmed und seine Flamme, Heidemarie Schinkel aus dem Arbeitsamt, oder eben Uwe Gammerdinger, der Klischee-Schwabe in Strickpulli, Birkenstock-Schläppchen und über die Cordhose gezogenen Wollstrümpfen, der in die Weddinger Klasse platzt wie, nun ja, ein Birkenstock-Träger in den Beton-Wedding, irgendwo zwischen Hyper-Empathie und Pseudo-Autorität („Gelbe Karte, Andi, bei Rot fliegschde raus“), bis die Stunde vorbei ist, aber, Moment, „erst noch gschwind die Hausis“.

Zum Schreien, wie gesagt. Aber auch so authentisch, was die Dialekte, Slangs, die Posen und Manierismen angeht, dass man als Zuschauer immer wieder Deja-vus erlebt aus dem eigenen Alltag.

Best of GWSW: Lehrer Uwe Gammerdinger (r.) versucht sich am Unterricht mit den Weddinger Schülern Curly und Ratte (l.)
Best of GWSW: Lehrer Uwe Gammerdinger (r.) versucht sich am Unterricht mit den Weddinger Schülern Curly und Ratte (l.)

© Doris Spiekermann-Klaas

Ehrlichkeit, Herz auf der Zunge

„Die Rolle habe ich ihm auf den Leib geschrieben“, sagt Constanze Behrends über Lehrer Gammerdinger, dessen Darsteller auch aus dem Schwäbischen stammt. Die Grundtypen kämen schon aus den Biografien des Ensembles. Eins haben die beiden Macher dabei mit ihren Fans gemeinsam: die Ablehnung der politischen Korrektheit, hinter der sich ja mitunter erst die wahren Abgründe verbergen. Nein, „Ehrlichkeit. Herz auf der Zunge“, sagen sie, das sei es doch, was den Wedding ausmache. Irgendwann dürfe man wohl nicht mal mehr „schwarzer Kaffee“ sagen, sondern „maximal pigmentiertes, koffeinhaltiges Heißgetränk“, ereifert sich Behrends und man weiß kurz nicht, ob das nicht auch wieder eine Rolle ist. „Nee, wir sind extrem unkorrekt“, sagt sie. „Aber immer charmant. Die Gürtellinie wird oft touchiert, aber nie unterschritten.“ Denn das Prime Time Theater soll Pop-Theater bleiben, im Sinne von: Volkstheater, oder auch: Familientheater.

Mit Plattheit aber will Oliver Tautorat dieses Pop-Verständnis nicht gleichgesetzt wissen. Im Laufe von mittlerweile 88 Folgen GWSW haben sie schließlich auch immer wieder ihre Figuren gebrochen, gerade die herrischsten. Da weint sich der sächsische Familientyrann auch irgendwann bei seiner Tochter aus. „Wir gehen absolut in die Tiefe“, sagt Tautorat, Tragikomik inbegriffen.

Dazu gehört das Verständnis fürs eigene Publikum, noch heute sitzt Tautorat selbst an der Abendkasse, da, wo selbst die teuersten Tickets nur 18 Euro kosten. Hilfreich bei diesen Preisen, dass nach zwischenzeitlich arg schwierigen Zeiten das Theater seit Anfang des Jahres wieder vom Senat gefördert wird, 120.000 Euro pro Jahr. Dazu war hartnäckige Lobbyarbeit nötig, bis hinauf zu Klaus Wowereit, dessen Dienstlimousine doch regelmäßig direkt um die Ecke parkt. Bald wollen sie GWSW auch im Fernsehen etablieren, die Verhandlungen mit dem RBB laufen.

Einstweilen können Weddinger und Nicht-Weddinger sich noch bis zum 8. Februar das Beste aus zehn Jahren „Gutes Wedding, schlechtes Wedding“ ansehen – und sich aus den 34 Rollen ihre liebste aussuchen. Den Akteuren fällt das schwer: „Wir verkörpern die Rollen“, sagt Constanze Behrends. „Wir geben denen unseren Körper und unsere Seele. Daher lieben wir sie alle.“ Was dann, bei all den Pointen und Zoten und Lächerlichkeiten, vielleicht doch das Entscheidende ist: Dass man sie ernst nimmt - auch die schrägsten unter all den schrägen Weddinger Typen. 

„Best of 10 Jahre GWSW“

Prime Time Theater, Müllerstraße 163

noch bis zum 8.2., immer Do-So 20.15 Uhr

Dieser Artikel erscheint im Wedding Blog, dem Online-Magazin des Tagesspiegel.

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