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Berlin: Hafturlaub für Schabowski, Bundesverfassungsgericht vertagt Entscheidung über Fall Krenz

Egon Krenz hat vorerst Glück mit dem Bundesverfassungsgericht. Ohne Begründung haben die Karlsruher Richter gestern ihre Entscheidungen im Fall des ehemaligen Staats- und Parteichefs der DDR ins neue Jahr verschoben.

Egon Krenz hat vorerst Glück mit dem Bundesverfassungsgericht. Ohne Begründung haben die Karlsruher Richter gestern ihre Entscheidungen im Fall des ehemaligen Staats- und Parteichefs der DDR ins neue Jahr verschoben. Krenz kann deshalb Weihnachten und Silvester auf jeden Fall zu Hause feiern. Das kann auch Günter Schabowski. Das ehemalige Politbüro-Mitglied hat Weihnachtsurlaub aus der Haft erhalten. In Karlsruhe wurde gestern spekuliert, dass die Verfassungsrichter sich deshalb nun Zeit mit Krenz gelassen hätten - nach der Devise: Warum den einen eventuell in Haft schicken, wenn der andere gerade herauskommt.

Mit der Verschiebung eröffnet sich für das Gericht allerdings auch die Möglichkeit, die angekündigte, aber noch nicht vorliegende Verfassungsbeschwerde des letzten SED-Staatschefs gleich mit zu entscheiden. Und da sehen seine Chancen nicht gut aus.

Das Bundesverfassungsgericht hat bereits im Oktober 1996 einstimmig die Verfassungsbeschwerden der Nationalen Verteidigungsräte Albrecht, Keßler und Streletz gegen ihre Verurteilungen zurückgewiesen. Dabei wurden alle wesentlichen Rechtsfragen schon entschieden, die jetzt auch bei Krenz eine Rolle spielen - vor allem die Frage des Rückwirkungsverbotes.

In der DDR waren die Mauerschüsse nicht strafbar. Verstößt also die Verurteilung wegen der Mauertoten gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Bundesrepublik Deutschland, dass eine Tat nur dann bestraft werden kann, wenn die Strafbarkeit und die Höhe der Strafe vorher gesetzlich genau bestimmt waren? Dieser Grundsatz "muss dann zurücktreten", hat das Bundesverfassungsgericht aber in Sachen Albrecht, Streletz und Keßler entschieden, wenn ein Staat "für den Bereich schwersten kriminellen Unrechts die Strafbarkeit durch Rechtfertigungsgründe ausschließt ... und so die in der Völkergemeinschaft allgemein anerkannten Menschenrechte in schwerwiegender Weise missachtet."

An dieser Entscheidung wird auch Krenz in Karlsruhe nicht vorbei kommen. Die DDR-eigene Rechtfertigung der Mauer-Schüsse sei wegen "offensichtlichen, unerträglichen Verstoßes gegen völkerrechtlich geschützte Menschenrechte unwirksam" - dieser Satz des Bundesgerichtshofs steht mit Billigung der Verfassungsrichter seitdem im Raum. In einem solchen Falle müsse das positive Recht, nämlich das Rückwirkungsverbot, der Gerechtigkeit weichen - das ist der Kernsatz der Urteile gegen die Verantwortlichen für die Mauerschüsse.

Unter Juristen wird der Verfassungsbeschwerde von Krenz gegen sein Urteil deshalb keine Chance eingeräumt. Rechtlich dunkler sind die Aussichten seines Antrags, die Vollstreckung seiner sechseinhalbjährigen Strafe bis zur Entscheidung des Straßburger Menschenrechtsgerichtshofs auszusetzen. Gegen die Entscheidung der bundesdeutschen Justiz, die Menschenrechte der Maueropfer zur Leitlinie ihres Urteils zu machen, hat der ehemalige DDR-Staatschef nämlich seine eigenen Menschenrechte in Straßburg geltend gemacht: das Rückwirkungsverbot. Eine Präzedenzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu einem solchen Strafaufschub gibt es nicht. Sie ist aber nicht völlig ausgeschlossen, weil das Bundesverfassungsgericht die Auslegung des Rückwirkungsverbots selbst früher als umstritten bezeichnet hat.

Ein Straßburger Spruch hätte keine direkte Wirkung auf das Urteil. Würde der Europäische Gerichtshof aber eine Verletzung der Menschenrechtskonvention feststellen, wäre dies nach der Strafprozessordnung ein Grund für die Wiederaufnahme des Krenz-Verfahrens. "Und er käme sofort aus der Haft", wie Verteidiger Robert Unger sagt.

Hans Toeppen

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