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Spirituelle Typen. Theo Ligthart (49) und Thomas Kochan (46) veranstalten das Festival zum vierten Mal.

© Caprice Crawford

Craft-Spirits-Festival Destille-Berlin: Handgemachte Spirituosen in der Heeresbäckerei

Schnaps und Likör sind Handwerk - zumindest auf dem Destille-Berlin-Festival. Und auch große Spirituosenmarken wollen hip sein. Eine Kostprobe.

Seit 60 Jahren hütet Lord Pijökel ein kleines Wurzelholz und lässt es jährlich von einer Gruppe Rentner begutachten. Ob es sich verändert hat? In ihrer Jugend fanden sie das verschlungene Wurzelholz 1955 auf dem Schulhof, fasziniert von der Form behielten sie es und nannten es „Pijökel“ (plattdeutsch für „kleines Ding“). Einer von ihnen war Kuno Grote, der später als Apotheker einen selbst entwickelten Kräuterlikör danach benannte: „Pijökel 55“. Im Originalrezept dominiert Ingwer, der das Brennen des Alkohols bis auf die Zungenspitze ausdehnt. Am heutigen Sonntag kann man den Likör und 500 weitere handwerklich hergestellte Spirituosen auf dem „Destille-Berlin-Festival“ in Kreuzberg probieren

Ein bisschen Olympia gab’s auch: Am Sonnabend wurden Medaillen in Gold, Silber und Bronze in drei Disziplinen vergeben: Whiskey, Gin, Wodka. Es ist aber keine Hauptsache-knallt-Veranstaltung, vielmehr geht es den Veranstaltern, Thomas Kochan und Theo Ligthart, um die Qualität der Schnäpse. Das lockte bereits im vergangenen Jahr mehr als 3000 Besucher in die Markthalle 9. Die diesjährige Veranstaltung findet in der Heeresbäckerei statt.

Auch große Spirituosenmarken wollen hip sein

Die Kriterien sind für die Veranstalter Thomas Kochan und Theo Ligthart dieselben geblieben: unabhängige Betriebe von Privatpersonen, keine chemischen Zusätze und Aromastoffe. Das lassen sich beide vor dem Festival schriftlich bestätigen, denn man müsse vorsichtig sein. „Handgemacht und lokal“ – dieses Label möchten auch Großkonzerne auf ihre Flaschen drucken.

Das Destillat der Wodka-Marke „Our/Berlin“ kommt beispielsweise aus Schweden und nur das Wasser stammt aus Berlin. Die Destille steht in Treptow, gebaut vom Spirituosen-Riesen Pernod Ricard, der auch den „Absolut Wodka“ vertreibt. Paulina Hoch von Our/Berlin beteuert jedoch: „Pernod Ricard hat nur die Destille gebaut und uns danach die Schlüssel gegeben. Sie helfen uns lediglich bei rechtlichen und Produktionsfragen. Sonst sind wir autark.“
Möglichst hip, so wollen die großen Konzerne sein. Genauso individuelle Geschichten erzählen, wie man sie so oft hört. Ein altes Rezept, Studienfreunde, WG-Küche. „In den 90ern tranken alle Wodka Energy, heute wollen manche Whisky, andere Rum und die anderen Gin. Aber auf keinen Fall das gleiche trinken, wie der an der Bar gegenüber. Je regionaler, naturbelassener und individueller desto besser“, sagt der Getränkeexperte Mirko Bode. „Deshalb starten große Spirituosenmarken nun auch kleinere Projekte, um mit Regionalität und urbanem Lifestyle werben.“

Prenzelberger Hinterhof. Gabriel Grote produziert seit 2010 mit seinem Studienkollegen Henning Birkenhake den Kräuterlikör "Pijökel 55".

© promo

Als 2002 Kuno Grote starb, endete auch die Produktion von Pijökel 55. Die letzten Flaschen leerte sein Sohn Gabriel Grote mit ein paar Studienfreunden. Und – sie feierten ihn. 2010 brachte der 35-Jährige mit seinem Kollegen Henning Birkenhake den Likör wieder auf den Markt. Hergestellt in einer Prenzelberger Küche aus selbst angerührten Tinkturen. So schaffen sie etwa 500 Liter im Monat. Wenn man durch den kleinen Raum balanciert, muss man aufpassen, keine der dünnen schwarzen Flaschen umzustoßen, die überall aufgetürmt sind.

Sonntag, 22. März, 13–19 Uhr, 10 Euro inklusive drei Proben. Heeresbäckerei, Köpenicker Straße 16/17, Kreuzberg

Simon Grothe

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