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Kifferstadt Berlin. Die Hanfparade demonstriert für die Legalisierung von Cannabisprodukten.

© picture alliance / dpa

Hanf in Berlin: Der Mann mit dem Gras

Einblicke in die Kreuzberger Schattenökonomie: Ein netter Herr verkauft in seiner Wohnung weiche Drogen. Unser Autor hat ihn besucht.

Es läuft ab wie immer: Man klingelt, sagt seinen Namen in die Sprechanlage, zieht nach Einlass die Schuhe vor der Wohnungstüre aus, weil man weiß, wie wichtig das dem Gastgeber ist und betritt das WG-Zimmer von Ole Jürgens (Name geändert), den Geschäftsraum, wenn man so will. Ein paar weitere Gäste, die gleichzeitig als Kunden hier sind, haben es sich bereits auf der Couch bequem gemacht, Kekse stehen auf dem Tisch, Apfelsaft und ein paar Gläser. Alle sind aus dem gleichen Grund bei Jürgens, der in einem Hausprojekt in Kreuzberg wohnt: wegen Drogen. Besser gesagt: wegen Dope, Haschisch, Gras, Marihuana. Chemische Drogen, Kokain oder Härteres verkauft Ole Jürgens nicht.

An zwei Tagen in der Woche ist Geschäftszeit, immer ab 15 Uhr. Besonders Bedürftige können zur Not auch mal an anderen Tagen vorbeischauen, Jürgens ist da nicht so streng, aber eigentlich wünscht er sich Strukturen, sonst hat er ja nie seine Ruhe.

Kiffen gehört zum Lifestyle in Berlin

Berlin ist eine Drogenstadt. Im Nachtleben werden MDMA, Kokain und Speed ziemlich selbstverständlich konsumiert und wer sich in einer Berliner Bar einen Joint rollt, bekommt deshalb selten Probleme. Die Stadt hat immer noch die liberalste Eigenbedarfsregelung aller Bundesländer bei Marihuana, 15 Gramm sind erlaubt, obwohl Innensenator Frank Henkel die straffreie Maximalmenge jetzt senken möchte.

Und doch: Kiffen gehört zum Lifestyle in Berlin. Hip-Hopper kiffen, Clubgänger kiffen, Dönerverkäufer kiffen, manche genießen abends nach der Arbeit statt einem Bier den Feierabendjoint und wenn man durch Kreuzberg streift, kommt man immer wieder an Stellen, an denen man riecht, dass hier gerade eine Tüte die Runde gemacht hat. Und einmal im Jahr gibt es eine Hanfparade, auf der für Amsterdamer Verhältnisse demonstriert, eine endgültige Entkriminalisierung oder zumindest Tolerierung weicher Drogen, wie es sie in den Niederlanden bereits gibt, gefordert wird.

Noch gilt das, was Jürgens macht, als kriminell. Es sichert ihm aber ein regelmäßiges Einkommen, das er im Falle einer Legalisierung nicht hätte. Neben Hartz IV lebt er vom Drogenverkauf. Würde er erwischt werden mit den Mengen an Marihuana, die er bei sich bunkert, hätte er ein echtes Problem.

Wer zu Jürgen kommt, muss Zeit mitbringen

Jürgens ist nicht der typische Dealer, der sein Risiko mit möglichst hoher Gewinnmaximierung ausgleichen will. 3,50 Euro verdient er an jedem verkauften Gramm, sagt er, mehr will er auch gar nicht, bei dem festen Kundenstamm, den er hat, zirka 30 Personen, mit denen er zum Großteil befreundet ist und die allesamt recht passionierte Kiffer sind, kommt da im Monat trotzdem einiges zusammen. Dennoch nimmt man Jürgens Sätze wie „Geld ist nicht alles“ ab oder „Jeder kann nur einmal satt werden“. Er ist keiner, der nur ein gutes Geschäft mit einem machen möchte. Er betrachtet das, was er betreibt, eher als Dienstleistung für Freunde und die wiederum haben das gute Gefühl, nicht übers Ohr gehauen zu werden mit minderer Ware zu überhöhten Preisen. Der ehemalige Hausbesetzer Jürgens geht auf die 50 zu. Er kann sich bei seinem illegalen Job weiterhin ein wenig subversiv fühlen, obwohl er inzwischen Miete zahlt, und seine Kunden müssen sich für ihren Joint nicht mit zwielichtigen Gestalten in Parkecken herumplagen. Eine Win-Win-Situation sozusagen.

Dazu kommt eine nicht zu unterschätzende soziale Komponente. Denn zu Jürgens kommt man nicht, wenn man nur mal schnell ein paar Gramm kaufen will. Man muss Zeit mitbringen, ganz im Gegensatz zum Straßenhandel, wo ja alles möglichst schnell über die Bühne gehen soll. So lernt man den extrem mitteilsamen Jürgens bald besser kennen.

Denn er ist ein leidenschaftlicher Erzähler, aber kein Multitasker. Er kann nur entweder reden oder sich um die Bestellung kümmern. Meist redet er und dann geht das Wiegen der Ware und das Verpacken in kleine Plastiksäckchen eben nicht voran. Er theoretisiert über Politik, wie sich Computer verbessern ließen, Gesundheitsprobleme, seinen neuen Bürostuhl, Musik, über einfach alles. Manchmal ist man so vertieft in das Gequatsche, dass man am Ende sogar vergisst, zu bezahlen. Kein Problem, kann passieren: beim nächsten Mal halt. Auch anschreiben lassen ist in Ordnung. Denn bei Jürgens geht es auch um Vertrauen.

Wer sich zu ihm begibt, wird automatisch Teil eines Kreises des Vertrauens. Bei ihm gibt es Gras mit dem Namen „AK 47“, Biogras aus Hanfpflanzen, die ohne Verwendung chemischer Düngemittel herangezogen wurden, worauf Jürgens Wert legt und seine Kunden im Normalfall auch. Man vertraut ihm und er wiederum vertraut seinen Kunden, dass sie ihn nicht gefährden. Das bedeutet vor allem: Niemand gibt ungefragt den Kontakt zu ihm weiter. Gut 20 Jahre lang funktioniert das nun schon so, gravierende Probleme gab es nie, sagt er. Auf die Anfrage, ob er bereit sei, sich anonymisiert für den „Tagesspiegel“ porträtieren zu lassen, reagiert er extrem locker. Er weiß, dass er sich darauf verlassen kann, dass seine Kunden ihn schützen.

Wenn Marihuana legal wird, kann er sich einen richtigen Job vorstellen

So sehr er dem System seiner eigenen Schattenökonomie vertraut, so sehr misstraut er, der sich politisch irgendwo zwischen Links- und Piratenpartei verortet, dagegen Institutionen, dem Staat generell, von dem er nicht viel Gutes erwartet. Schon in der DDR war er Oppositioneller und landete im Knast. „Ich war Langhaariger, Freunde von mir waren Punks“, sagt er. Er trug „Westbuttons“, Antiatomkraftabzeichen von Greenpeace und demonstrierte gegen die Aufrüstung auch der Ostblockstaaten. Das reichte, um ihn zum Feind des Sozialismus zu erklären. Einige Jahre vor dem Fall der Mauer ist er in den Westen geflüchtet, „wegen meiner Lebensgeschichte“, sagt er, „werde ich manchmal von Institutionen als Zeitzeuge eingeladen.“

In Westdeutschland und später in Berlin hat er in allen möglichen Jobs gearbeitet, als Lagerarbeiter, Kraftfahrer, beim Paketservice, auf dem Bau. Einer geregelten Arbeit würde er heute gar nicht mehr nachgehen wollen. Er spricht von „Lohnsklaverei“ und sagt: „Würde ich 40 Stunden in der Woche arbeiten, ich würde mein Privatleben gar nicht geregelt kriegen.“ Er fotografiert, beschäftigt sich mit Musik „von Peter Gabriel bis Bach, aber auch die Avantgarde von Meredith Monk fasziniert mich“. Nebenbei schreibt er an einem Buch, erzählt er, das von seinem Leben als asozialem Element in der DDR handeln soll. Und er verbringt natürlich auch viel Zeit mit dem ewigen Diskutieren.

Falls es mit der Legalisierung von Marihuana doch noch etwas werden sollte in Deutschland, könnte er sich einen richtigen Job vorstellen. Keinen entfremdeten, sondern einen, der zu ihm passt. „Ich würde einen Coffee-Shop aufmachen und nur feinste Ware verkaufen.“ Es gäbe zu wenig edlen Sativa-Cannabis in Berlin, meint er, das würde er gerne ändern.

Tim Dräger

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