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Berlin: Hans Bernsdorf (Geb. 1927)

Direktor des Betriebsteils Berolina des VEB Staatszirkus der DDR.

Von David Ensikat

Giraffen ziehen ungern ihre Köpfe ein – ein Grund, weshalb es so wenig Giraffen im Zirkus gibt.

Aber die Zirkuszelte sind doch hoch genug, könnte man einwenden – wenn man nichts vom Zirkus verstünde. Denn was nützen dem Zirkus große Zelte und große Tiere, wenn er sie nicht von der einen Stadt in die andere befördern kann? Und wie befördert man eine Giraffe, die nur ungern ihren Kopf einzieht?

Honsa hieß die erste Giraffe in einer DDR-Manege. Honsa wie Hans, wie Hans Bernsdorf, Direktor des „Betriebsteils Berolina“ des „VEB Staatszirkus der DDR“. In Hans Bernsdorfs Berolina-Zirkuszelt passten mehr als 3000 Zuschauer, die Manege war groß genug für 18 Pferde, Elefanten gab es, Löwen, Eisbären. Verständlich, dass Hans Bernsdorf auch eine Giraffe wollte. Und weil Hans Bernsdorfs Realismus so groß war wie sein technischer Verstand, wollte er prinzipiell nur, was er auch bekommen konnte. Für Honsa, die Giraffe, ließ er einen Spezialwagen bauen mit einem ausfahrbaren Giraffenhals- und -kopfabteil, weiß angestrichen, mit dem großen roten Schriftzug „Berolina“.

Zirkusbesucher verstehen nicht sehr viel vom Zirkus. So wie sie meinen, ein Zirkusdirektor müsse eine rote Uniform tragen mit breiten Streifen auf der Hose, denken sie, wenn sie eine Giraffe die Manege betreten sehen: „Sieh an, die Giraffe, ein stolzes Tier, und wie es brav im Kreis marschiert!“ Dass die Anschaffung der Giraffe untrennbar mit dem Bau des Giraffenwagens zusammenhängt, und dass wiederum dieser Giraffenwagen Teil einer großen Strategie ist, die im Kopf des Zirkusdirektors Bernsdorf entstanden ist, dem nichts ferner läge, als eine rote Uniform mit breiten Streifen auf der Hose zu tragen, davon ahnen die Zirkusbesucher nichts.

Hans Bernsdorfs Strategie in den ausgehenden siebziger, beginnenden achtziger Jahren lautete: Von der Schiene auf die Achse. Sein ganzer Zirkus sollte mit Lastkraftwagen transportiert werden, auch die Elefanten, für die er einen Sattelschlepper anschaffte, die Giraffe sowieso. Üblich war es, die größten Kreaturen mit der Bahn zu befördern. So taten es weiterhin die Zirkusse Busch und Aeros, die eine Art innerbetriebliche Konkurrenz zu Bernsdorfs Berolina waren.

Man muss wissen, dass es in der DDR sechs Zirkusse gab, drei kleine private und die genannten drei großen staatlichen. Diese waren, wie sich das in der Zentralwirtschaft gehört, Betriebsteile eines einzigen staatsgelenkten Unternehmens, des „VEB Staatszirkus der DDR“. Und da die DDR Teil eines sozialistischen Staatenverbundes war, in dem die Zirkuskultur als volksnah, also förderungswürdig galt, bestand der Auftrag der Betriebsteile Busch, Aeros und Berolina nicht allein in der Unterhaltung des DDR-Volks, sondern ebenso in der der Brudervölker. Am wenigsten beliebt waren die langen Fahrten in die Sowjetunion, Fahrten, die über die Schienen gingen. Nachdem Hans Bernsdorf nun seinen Zirkus straßentransportabel gemacht hatte, gab es einen guten Grund zu sagen: Lasst Busch und Aeros mit der Bahn die weiten Strecken fahren, wir kümmern uns um die Tschechen, die Polen und die Ungarn. Und die paar Touren in den Westen können wir auch gern übernehmen.

Berolina warb damit, „Europas modernster Reisezirkus“ zu sein. Artisten und Zeltbauer hatten komfortable Wohnwagen, es gab Duschwagen, Schulwagen, Clubwagen, Kindergarten, Bibliothek. Das riesige Zelt war in drei Stunden abbaubar. Alles der Verdienst von Hans Bernsdorf, Direktor seit 1973. Er mochte nicht den Vorstellungen des Publikums von einem Zirkusdirektor entsprochen haben, mit Schlips und Jackett sah er eher aus, wie das, was er schließlich auch war: der Leiter eines sozialistischen Großbetriebes. Allerdings war er ein spezieller, einer, der wusste, was er tat, der mit großem Respekt „der Alte“ genannt wurde, der selbst als Zeltbauer beim Zirkus angefangen hatte.

1952 war das, sein Vater war tot, die Mutter hatte als Köchin beim Zirkus angeheuert und den Sohn mit dem Argument „Schwerarbeiterzuschlag“ überredet. 1953 kaufte er für sich und Frau und Töchter einen alten Möbelwagen, der Wohnwagen wurde, 1954 wurde er Zeltmeister und entwarf Pläne für neue Zelte, er ließ sich zum Bühnen- und Beleuchtungsmeister ausbilden, wurde technischer Leiter und vor allem einer, dem niemand am Zirkus etwas vormachen konnte. Morgens, halb sieben lief er mit seinem Hund übers Gelände und wusste um sieben, wo etwas zu tun war.

18 Jahre lang war er Direktor. Wie sich das wohl anfühlt, wenn man so einen Laden groß gemacht, Erfolge gefeiert, Abwerbungsversuchen widerstanden hat, und wenn der Laden innerhalb von nicht einmal zwei Jahren zugrunde geht? Wie sollte auch ein DDR-Staatszirkus die DDR überdauern? Theater und Opern wurden weiter subventioniert, der Zirkus nicht. Dazu kamen die üblichen Treuhand-Idiotien. Hans Bernsdorf, der stämmige Immergesunde wurde dünn und krank, 1991 musste er aufhören – bei gekürzter Rente, versteht sich, weil er einen Staatsbetrieb geleitet hatte. Seit 1992 gab es den Zirkus Berolina nicht mehr.

Aber Hans Bernsdorf war, wie er das selber sagte, ein „Anführertyp“. Er ließ seinen alten Direktorenwagen auf sein Grundstück am Müggelsee stellen und widmete sich in den folgenden Jahren dem Ausbau und der Pflege des Gartens. Er hatte, bevor er zum Zirkus gekommen war, Gärtner gelernt, da machte ihm auch niemand etwas vor. Freunde, Nachbarn, Töchter, Schwiegersöhne, alle wurden eingespannt. Und kaum jemand wagte zu widersprechen, wenn der Direktor a.D. ein neues Projekt anging, Hecke, Beete, Gehwegplatten. David Ensikat

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