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Berlin: Hans Christian Förster (Geb. 1953)

Er sezierte die Werke Schopenhauers. Dann gab es die DDR nicht mehr

Um ein Haar wäre der Mann, der so gerne Friedhöfe besuchte, in der falschen Erde begraben worden – direkt neben einer Schrottpresse auf einem Friedhof in Tempelhof. Seine Freunde hinderten den Bestatter am Versenken der Urne. Hans Christian Förster, ohne Frau und enge Verwandte, war wenige Tage vor seinem 60. Geburtstag in seiner Wohnung gestorben, eine Nachbarin hatte zwei Tage später die Polizei gerufen. Die Bestattung organisierte ein Amt. Was das Amt nicht wusste: Hans Christian Förster hatte eine Grabstätte auf einem Friedhof in Prenzlauer Berg reserviert, gleich neben seiner Mutter, die er vor ihrem Tod jahrelang gepflegt hatte.

Wie zur Entschädigung war das Wetter bei der zweiten Bestattung besonders schön, der Friedhof übersät mit violetten Krokussen. Försters Weggefährten kamen danach zu einer Erinnerungsstunde im Senatssaal der Humboldt-Universität zusammen.

Sein Leben nach dem Mauerfall war wie ein Slalomlauf. Was er auch anpackte, es wollte nicht gelingen, seine Talente so einzusetzen, dass sie ihm ein Auskommen verschafften. Sein Studium der Philosophie, Geschichte und Nationalökonomie war plötzlich nichts mehr wert, Umschulungen, ein Germanistik-Aufbaustudium, Jobs – alles brachte nichts. Förster, ein kleiner, kompakter Mann mit Schnauzbart, Brille und ungebändigtem schwarzem Haar, hielt sich mit kleinen Aufträgen als Autor über Wasser. „Soziale Artistik am Rande des schwarzen Lochs“ nennt ein Freund die Bemühungen der Wendeverlierer.

Im Juni 1989 hatte Förster mit einem befreundeten Philosophen den Verein „Klub Wissenschaft“ gegründet. In einer Kneipe am Kupfergraben wurde debattiert und getrunken für den Weltfrieden. Das lief gut. Nur am 9. November 1989 wollte kaum einer zu der Veranstaltung über den Kommunisten Max Hoelz kommen.

Förster liebte diese Abende, die später durch Existenzsorgen eingetrübt wurden. Ein Freund erinnert sich: „Wenn die Entängstigung durch Bier erreicht war, haben wir uns den Möglichkeiten der Welt hingegeben. Am nächsten Morgen war die Angst wieder da.“

Gäbe es die DDR noch, der Philosoph würde wohl noch heute an der Akademie der Wissenschaften Arthur Schopenhauers Werke sezieren. Aber die Akademie wurde 1991 aufgelöst, Förster stellte seine Dissertation über Schopenhauer nie fertig. Zu tief war er in sein Forschungsthema eingetaucht. Was Schopenhauer, auch er chronisch klamm und nie verheiratet, 1818 in einem Brief an seinen Verleger schreibt, hätte Förster glattweg unterschrieben: „Ich habe nicht des Honorars wegen geschrieben, wie die Unbedeutsamkeit desselben von selbst beweist; sondern um ein lange durchdachtes und mühsam ausgearbeitetes Werk, die Frucht vieler Jahre, ja eigentlich meines ganzen Lebens, durch den Druck zur Aufbewahrung und Mitteilung zu bringen.“ Die Archive der Stadt waren Försters zweites Zuhause, seine Arbeitsweise sorgfältig und langsam.

So wurde eine lange Arbeit niemals fertig, die kurze Form lag Förster mehr. Seine Reden und Briefe waren formvollendet. Viele Texte beschreiben die Schnittstelle zwischen Technik, Gewerbe und Wissenschaft. Das bedeutete nicht, dass er gern Dinge anschraubte oder reparierte. Schon als Kind umgab er sich lieber mit Büchern.

Er stammte zwar aus dem Vogtland, kannte sich aber in Berlin aus wie kaum ein anderer. Bei Arbeitsspaziergängen mit der Redakteurin einer Universitätszeitschrift kommentierte er jede Ecke: „Hier hat der alte Borsig mit seinen Freunden gezockt. Hier war damals noch ein Tor. Dort entlang fuhr Wilhelm von Humboldt von seinem Institut nach Hause, als er schon in Tegel residierte.“ Auf öffentlichen Rundgängen führte er Besucher zu den „Gespenstern der TU“. Für die Reihe „Orte der Erinnerung“ der TU-Zeitschrift fand er immer neue Geschichten. In den letzten Monaten lief es zum ersten Mal wieder richtig gut. Er hatte Pläne und sogar einige lukrative Aufträge. Woran er gestorben ist, so plötzlich, weiß niemand zu sagen.

Karolin Steinke

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