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Aktenberge im Gericht

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Hartz-IV-Klagen: Zahl der Zwangsumzüge steigt drastisch

Die Präsidentin des Berliner Sozialgerichts fordert den Senat auf, endlich transparente Mietgrenzwerte für Hartz-IV-Empfänger festzulegen. Denn die Klageflut hält an.

Streit mit dem Jobcenter um die Übernahme der Mietkosten ist einer der häufigsten Gründe für Hartz-IV-Empfänger, vor das Sozialgericht zu ziehen. Bei ihrer Jahrespressekonferenz forderte Gerichtspräsidentin Sabine Schudoma am Mittwoch den neuen Senat auf, „endlich transparente, sozial ausgewogene und praxistaugliche Mietgrenzwerte“ zu schaffen. Die vom Senat erstellte Entscheidungsgrundlage, die sogenannte AV Wohnen, sei bereits vor über einem Jahr vom Bundessozialgericht für rechtswidrig erklärt worden. Das Problem wird drängender, denn immer mehr Hartz-IV-Empfänger werden von den Jobcentern dazu aufgefordert, die Mietkosten zu senken.

Besonders in den Innenstadtbezirken ist die Situation angespannt; dies zeigen beispielsweise Zahlen aus Pankow: In den ersten elf Monaten des vergangenen Jahres lagen die Mieten von 10 700 Bedarfsgemeinschaften über den Grenzwerten. In 3000 Fällen mussten Betroffene etwa durch Umzug oder die Aufnahme von Untermietern die Kosten senken; vor zwei Jahren hatten knapp 340 Haushalte entsprechend handeln müssen. Eine Erhöhung der Mietgrenzwerte hält Pankows Sozialstadträtin Lioba Zürn-Kasztantowicz (SPD) nicht für ausreichend: „Dann ziehen die Mieten an.“ Das habe man 2009 bei der Neuberechnung für Ein-Personen-Haushalte gemerkt. Damals waren die Grenzwerte von 366 auf 378 Euro erhöht worden. Laut Gerichtspräsidentin Schudoma bietet die AV Wohnen kein schlüssiges Berechnungskonzept, da sie nur Bruttowarmmieten ausweist. Nach Angaben der Sozialverwaltung soll jetzt eine neue Verordnung erarbeitet werden, wie es im Koalitionsvertrag von SPD und CDU festgelegt ist.

Insgesamt erreichten im vergangenen Jahr rund 30 700 Hartz-IV-Verfahren das Sozialgericht. Dies sind zwar knapp 1000 weniger als im Vorjahr. „Dennoch können wir nicht von einer Trendwende sprechen“, sagte Schudoma. Angesichts der anhaltenden Klageflut hält Schudoma an ihrem Appell aus dem Vorjahr fest, die 2006 abgeschaffte Gerichtsgebührenpflicht für die Jobcenter wieder einzuführen. Auch die Justizministerkonferenz hatte im vergangenen Sommer diesen Vorschlag einstimmig unterstützt. Danach müssten Jobcenter für jedes Verfahren, das mit einem Urteil endet, 150 Euro zahlen; ohne Urteil würden 75 Euro fällig. 2,4 Millionen Euro hätte das Gericht im vergangenen Jahr so einnehmen können. Außerdem regte Schudoma an, dass Jobcenter und Hartz-IV-Empfänger viel eher das direkte Gespräch suchen sollen. In 80 Prozent der Fälle einigen sich ihren Angaben zufolge die Parteien nämlich auf Vermittlung des Richters, so dass es nicht zu einem Urteil kommt.

Gerichtspräsidentin Sabine Schudoma
Gerichtspräsidentin Sabine Schudoma

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Der Hartz-IV-Komplex macht beim Sozialgericht rund 70 Prozent aller Verfahren aus. Inzwischen gibt es dort 127 Richterstellen, bei der Einführung der Arbeitsmarktreform 2005 waren es nur 55; dennoch kommt das Gericht mit der Bearbeitung kaum hinterher. Derzeit liegt die Zahl der nicht erledigten Verfahren bei rund 40 000. Schudoma verglich den Aktenberg mit „einem gewaltigen Felsmassiv“. Die Bundesagentur für Arbeit kritisierte ihrerseits gestern das Gericht für komplizierte Zuständigkeitsregelungen: So würden Verfahren von verschiedenen Mitgliedern einer Bedarfsgemeinschaft getrennt und von unterschiedlichen Kammern geführt. Dies habe einen erheblichen Mehraufwand zur Folge. In Berlin erhalten rund 325 000 Haushalte Leistungen nach Hartz IV.

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