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Berlin: Hauptsache nicht allein

Für Menschen, die Angehörige verloren haben, sind die Festtage eine seelische Herausforderung Die Evangelische Kirche bietet für Trauernde besondere Gottesdienste an.

Plötzlich war alles anders. Wenn Götz-Christian Pitschel abends den Fernseher einschaltete, um die Nachrichten zu sehen, herrschte Stille um ihn herum. Wenn er ein "Was machen die denn da bloß wieder?" halblaut in den Raum sagte, kam keine Antwort mehr. Im September 2010 war der ehemalige Steuerberater zum Witwer geworden. Seine Frau verstarb nach einer langen Krankheit. Nun herrschte Einsamkeit und Leere in seiner Wohnung. Auch und gerade an den Weihnachtfeiertagen.

Für Trauernde wie Götz-Christian Pitschel bietet die Evangelische Kirche in diesem Jahr wieder zwei spezielle Weihnachtsgottesdienste an. In den Kapellen des Tempelhofer Wenckebach-Krankenhauses und des Wilmersdorfer Sankt-Gertrauden-Krankenhauses finden Heiligabend-Gottesdienste statt, die besonders auf die Situation von Menschen eingehen, die im Laufe des Jahres einen Angehörigen verloren haben. „Die Gottesdienste richten sich an Menschen, die die allgemeine weihnachtliche Fröhlichkeit im Moment nur schwer ertragen können“, sagt die Tempelhofer Superintendentin Isolde Böhm, die im Wenckebach-Krankenhaus den Gottesdienst leiten wird. „Es kommen zum Beispiel eine Reihe von Eltern, die ihre erwachsenen Kinder verloren haben.“ Nach solchen Schicksalsschlägen bräuchten Menschen oft Jahre, bis sie Weihnachten wieder richtig feiern könnten. „Das Fest ist bei uns so stark mit der Familie verbunden, dass sich Menschen, denen etwa durch einen Todesfall die Familie zerbrochen ist, damit unglaublich schwertun.“

Aufs Krippenspiel wird bei den Gottesdiensten verzichtet, stattdessen erhalten alle Teilnehmer eine Kerze als Geschenk. „Die Lichter können sie dann am nächsten Tag zum Grab ihrer Verwandten bringen“, sagt Isolde Böhm. „Denn wir wissen, dass auch die beiden Feiertage eine schwere Zeit für Trauernde sind.“ Die Pfarrerin hofft, ihnen auch mit der biblischen Weihnachtsgeschichte bei der Bewältigung ihrer Trauer helfen zu können. „Jesus wurde in der Nacht geboren“, sagt Isolde Böhm. Er sei zum Licht geworden, das in die Finsternis scheint. „Zu einem Geschenk für die Menschen, für alle Menschen, auch für die, die heute trauern.“

Auch Götz-Christian Pitschel ging im vergangenen Jahr zum Gottesdienst im Wenckebach-Krankenhaus. Er besuchte nach dem Tod seiner Frau ein Trauercafé, eine Gesprächsgruppe des Kirchenkreises Tempelhof. „Das hilft, weil man merkt, dass man mit seiner Sorge nicht allein ist“, sagt Pitschel. „Auch andere Menschen sitzen abends allein vor dem Fernseher und spüren die Stille in ihrer Wohnung.“ Im Trauercafé erfuhr Pitschel auch von der besonderen Weihnachtsfeier im Wenckebach-Krankenhaus. Etwas zögerlich ging er am Heiligen Abend dort hin. „Aber wo sollte ich auch sonst hingehen, meine Familie lebt ja nicht in Berlin“, erinnert sich der Rentner heute. Zusammen mit der kleinen Gottesdienstgemeinde sang er die altbekannten Weihnachtslieder, anschließend gingen alle gemeinsam in eine nahe gelegene Gaststätte. „Wir haben da noch den ganzen Abend zusammengesessen“, erinnert sich Götz-Christian Pitschel, der auch in diesem Jahr wieder beim Weihnachtsgottesdienst für Trauernde dabei sein will. Denn „eigentlich war es da wie Weihnachten“. Benjamin Lassiwe

Heiligabendgottesdienste für Trauernde: 15 Uhr in der Kapelle des Wenckebach-Krankenhauses, Wenckebachstraße 23, 12099 Berlin (U-Bahnhof Kaiserin-Augusta-Straße). 16:30 Uhr in der Kapelle des Sankt-Gertrauden-Krankenhauses, Paretzer Straße 12, 10713 Berlin (S- und U-Bahnhof Heidelberger Platz). Trauerberatung des Kirchenkreises Tempelhof: 755 15 16 20 , trauerberatung@kk-tempelhof.de

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