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Berlin: Heiner Müllers Monster

Die Stiftung Stadtmuseum zeigt im Nicolaihaus Berlins Bühnengeschichte nach der Wende Für viele Theaterleute wandert das eigene Leben damit schon ins Museum. Drei begegnen ihren Arbeiten wieder

Vor diesem Monster hat sich sogar Christine Stromberg damals gefürchtet – obwohl sie von 1961 bis zum Ende der DDR die Zentralen Kostümwerkstätten in OstBerlin leitete und hunderte Kostüme für Inszenierungen der Staatsoper, des Berliner Ensembles des Deutschen Theaters und der Kammerspiele entwarf. Doch selbst die „Herrin der Kostüme“, wie man sie nannte, fragte sich in den Tagen kurz vor der Wende: „Oh Gott, ob wir den Kerl hinbekommen?“

Nun steht das Monster im Nicolaihaus nach 13 Jahren wieder vor ihr: So furchtbar, wie Regisseur Heiner Müller den Herrscher Fortinbras für sein spektakuläres Stück „Hamlet,Hamlet/Maschine“ am Deutschen Theater haben wollte. So aufwendig, wie Christine Stromberg ihn entworfen hat.

Zärtlich klopft sie an den Brustpanzer. „Den haben wir Fortinbras in Secondhand verpasst. Der gehörte mal einem Schotten in einer früheren Inszenierung von Brechts König Edward II.“ Dann prüft die 75-Jährige ihren aus dem Fundus auferstandenen Krieger wie ein Bildhauer sein Meisterwerk. Sogar das Geschlecht dieses Mischlings aus Godzilla und Samurai gleicht einem Schießeisen. Sie lässt ein paar kupferne Plättchen klimpern. „Dieses Kettenhemd stammt aus dem alten Schauspielhaus. Wir fanden es nach dem Krieg unter dessen Trümmern.“

Schauspieler Horst Weinheimer zwängte sich in den aus Plaste, Leder und Metallteilen gefertigten Zombie wie in einen Taucheranzug. Dann war er das Gegenstück zu Hamlets Mutter, der Königin Gertrud im dunkelgrünen Seidenkleid. Auch dieses Kostüm entdeckt Christine Stromberg gleich links im Museumsraum. „Gertrud sollte eine sinnliche Frau sein, das wollte Heiner Müller unbedingt“, erinnert sich die weißhaarige Frau mit den lebendigen, klugen Augen.

Überhaupt: „Müller arbeitete damals wie besessen und forderte gleiches von seinem Team“. Zwei Monate vor dem Mauerfall begannen die Proben, am 24. März 1990 hatte die Aufführung Premiere. Der eigenwillige DDR-Regisseur sah „Hamlet,Hamlet/Maschine“ als seine letzte Chance an, politisches Theater zu machen - bevor das Kapital wie Fortinbras mit aller Macht regierte.

Müllers Kostümschöpferin stattete auch nach der Wende etliche Inszenierungen aus – so 1992 die Wagner-Oper Parzival von Regisseur Harry Kupfer. Im Nicolaihaus begegnet sie der verführerischsten Frau aus dieser Inszenierung. Aber wie sieht die Kundry aus? Ihr zartes Kleid hat nicht mehr den gewissen Schwung. Zu streng hat man es der Museumspuppe übergezogen, weil es für die Restauratoren schutzwürdig ist und nicht strapaziert werden darf.

Christine Stromberg zieht die Seide auseinander, als hätte der Wind hineingeblasen. „So ist es richtig.“ Das klingt ein bisschen ärgerlich. Aber ein Blick auf Kundrys linken Busen versöhnt sie, hat man ihn doch so freizügig präsentiert, wie sie es haben wollte – nur transparent verhüllt. Für die Sopranistin Waltraud Meier war das damals in Ordnung. Für andere Sängerinnen musste sie einen speziellen BH basteln – ein Busen-Imitat.

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