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Heinrich Albertz

© dpa

Heinrich Albertz: Abgeschossen von den eigenen Genossen

Heute vor 40 Jahren trat Heinrich Albertz als Regierender Bürgermeister zurück – nach 285 Tagen im Amt. Der Tod Benno Ohnesorgs war nur ein Grund dafür.

Der Abgang war kurz und trocken: „Meine Versuche, einen arbeitsfähigen Senat zu erhalten, sind gescheitert“, erklärte Albertz heute vor vierzig Jahren, am 26. September 1967, den verblüfften Journalisten im Rathaus Schöneberg. „Im Interesse der Stadt und ihrer Bürger habe ich deshalb mein Amt als Regierender Bürgermeister von Berlin zur Verfügung gestellt.“ Fragen wurden nicht zugelassen. Die kürzeste Pressekonferenz in der Geschichte West-Berlins beendete zugleich die kürzeste Amtszeit eines Berliner Regierenden Bürgermeisters. Und eines Dramas, das sich in den Wochen zuvor in der Berliner SPD abgespielt hatte.

Heinrich Albertz war gescheitert – nach nur 285 Tagen im Amt. Auch wenn sein Rücktritt immer wieder mit dem Tod des Studenten Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 in Verbindung gebracht wird, die Gründe waren andere. Albertz ist nicht freiwillig gegangen; eine gute halbe Stunde später wäre er von der eigenen Fraktion aus dem Rathaus Schöneberg getragen worden. Dieser Demütigung war er zuvorgekommen.

Willy Brand machte ihn zum Chef der Staatskanzlei

In der Berliner SPD war der gebürtige Breslauer und Weggefährte Willy Brandts ein Fremder geblieben. Den Pfarrer Heinrich Albertz, der in der Nazizeit als Mitglied der bekennenden Kirche mehrfach verhaftet worden war, hatte es nach dem Krieg in die Politik, zunächst als Flüchtlings-, später als Sozialminister in Niedersachsen, und 1955 nach Berlin verschlagen. Nebenbei war er viele Jahre Bundesvorsitzender der Arbeiterwohlfahrt.

Nach einigen Jahren als Senatsdirektor im Bildungsressort machte ihn Willy Brandt 1959 zum Chef der Senatskanzlei, nachdem die SPD Albertz’ Wahl zum Arbeits- und Sozialsenator torpediert hatte. Als Chef der Senatskanzlei war er nun erst recht ins Zentrum der Macht vorgestoßen, argwöhnisch beäugt von den Genossen, die ihm, dem Zugereisten, den Aufstieg nicht gönnten: „Dieser Typ passt nicht zu uns“, war dort die Parole.

Nach dem frühen Tod des Innensenators Joachim Lipschitz 1961 bat Willy Brandt Heinrich Albertz, dessen Nachfolge anzutreten. Immerhin kenne er, Albertz, die zehn Gebote. Fortan unterstand ihm die hochgerüstete West-Berliner Polizei. Würde er sie – um Krieg zu vermeiden – einsetzen müssen, wenn empörte West-Berliner gegen die Mauer vorgingen? Niemand in der Partei riss sich um diesen Job. Zwei Jahre später, als die CDU nach einer verheerenden Wahlniederlage aus der West-Berliner großen Koalition ausschied, wurde Albertz zusätzlich Bürgermeister – und damit Stellvertreter und designierter Nachfolger Willy Brandts. Wieder tobte die Partei.

Die Katastrophe des 2. Juni 1967

Heinrich Albertz
Regieren gegen die Straße: Nach dem Tod Benno Ohnesorgs fordern Studenten den Rücktritt des Regierenden Bürgermeisters. -

© Ullstein

Im Herbst 1966 verließ Willy Brandt Hals über Kopf Berlin, um in Bonn Außenminister und Vizekanzler unter Kurt Georg Kiesinger zu werden. Heinrich Albertz wurde Regierender Bürgermeister, denn Wahlen standen an, und den Rechten fehlte eine Alternative. Albertz machte weiter, wo er als Brandt-Stellvertreter schon viele Jahre gestanden hatte, wenn der „Berliner Außenminister“ sich in Bonn, der übrigen Welt oder im Bett aufhielt. Eigentlich ein Glücksfall: Albertz war schon lange der heimliche Regierende. Doch als er aus Willy Brandts Schatten trat, war er den Heckenschützen aus der eigenen Partei schutzlos ausgeliefert.

Willy Brandt hatte in den fünfziger Jahren mithilfe einiger rechter Parteifunktionäre – allen voran der Berliner Bundestagsabgeordnete Kurt Neubauer – mühsam den Vorsitz der Berliner SPD erobert. Albertz war clever, seine Feinde waren gerissen – ein spannendes Duell. Zunächst siegte Albertz, er wurde Regierender und gewann die Abgeordnetenhauswahl souverän. Ball paradox: Knurrend nahm die Partei ihren Wahlsieg hin und legte Albertz von nun an beharrlich Steine in den Weg. Auf einem Landesparteitag Ende Mai 1967 verbündeten sich der rechte Parteiflügel unter Neubauer und der linke unter Harry Ristock

Heinrich Albertz
Beim "Buchstabenbalett" auf der Tauentzienstraße ist auch Gudrun Ensslin dabei (rechts außen). -

© Ullstein

gegen Albertz, der sich demonstrativ von allen Parteigruppierungen fernhielt.

Nur eine Woche später brach die Katastrophe des 2. Juni 1967 über den Senat herein. Albertz gab noch in der Nacht nach der Anti-Schah-Demonstration eine Presseerklärung heraus, in der er den brutalen Polizeieinsatz rechtfertigte. Was Albertz nicht wusste, weil es systematisch verschleiert wurde, war, dass der Student Benno Ohnesorg nicht im Getümmel einer Straßenschlacht, sondern durch die Schüsse eines Polizisten zu Tode gekommen war. Albertz und sein Innensenator Wolfgang Büsch wurden von rechts und links für das Drama verantwortlich gemacht. Das ist logisch, sie hatten die politische Führung über die Polizei. Nicht bekannt war aber, dass die Polizei sich nicht an die politischen Vorgaben hielt und den Einsatz plante, wie sie es für richtig hielt: Provokativ und bewusst eskalierend.

Rückkehr als Austauschgeisel

Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss wurde eingesetzt, dessen Tätigkeit schließlich zur Beurlaubung des Polizeipräsidenten Erich Duensing und zum Rücktritt des Innensenators Büsch führte. Albertz musste seinen Senat umbilden, doch mit seinen Personalvorschlägen stieß er wiederum auf Granit. Die Parteirechten verlangten von Albertz, Neubauer in die Funktion des Bürgermeisters, also seines Stellvertreters, zu bestellen. Albertz empfand das als unzumutbar.

In höchster Not schlug er Bausenator Rolf Schwedler als seinen Stellvertreter vor, den er Jahre zuvor nach einer nächtlichen alkoholisierten Fahrt mit einem gekaperten Polizeifahrzeug vor Rücktritt und Strafe geschützt hatte. Als sich auch diese Option zerschlug, zog Albertz die Konsequenzen und trat zurück.

Um Neubauer als Regierenden Bürgermeister zu verhindern, schickte Willy Brandt seinen Staatssekretär Klaus Schütz, den er im Dezember 1966 mit nach Bonn genommen hatte, zurück nach Berlin. Schütz fehlte dem Außenminister und späteren Bundeskanzler künftig an allen Ecken und Enden. Neubauer wurde Innensenator und Stellvertreter von Schütz – und agierte fortan, oft am Regierenden vorbei, als „Scharfmacher“, wie es Schütz selbst später ausdrückte.

Heinrich Albertz kehrte 1975 noch einmal zurück in das Rampenlicht der großen Politik, als er sich auf Verlangen der „Bewegung 2. Juni“ als Austauschgeisel für den von der Terrorgruppe entführten CDU-Landesvorsitzenden Peter Lorenz zur Verfügung stellte. In seiner letzten Rede als Regierender Bürgermeister im Abgeordnetenhaus hatte Albertz selbstkritisch angemerkt, am schwächsten gewesen zu sein, als er am härtesten war – in der Nacht des 2. Juni 1967. Wer will, kann in diesem Satz ein Verständigungsangebot an die rebellierenden Studenten sehen. Es wird nie zu klären sein, wie die Geschichte der Republik verlaufen wäre, wenn es, statt der Konfrontationspolitik Neubauers, nach dem Tod Benno Ohnesorgs zu einer Politik der ausgestreckten Hand gekommen wäre, wie sie Heinrich Albertz in seinen letzten Tagen im Rathaus Schöneberg angedeutet hatte.

Vom Autor stammt das Buch „Wie starb Benno Ohnesorg? Der 2. Juni 1967“, Verlag 1900, Berlin. 272 Seiten, 19,90 Euro. 

Uwe Soukup

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