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Er kann auch Bretterbuden. Manfred Prasser hat den berühmten Saal des abgerissenen Palastes der Republik gebaut, Schinkels Schauspielhaus am Gendarmenmarkt von innen wieder neu errichtet, den neuen Friedrichstadt-Palast (unten) gebaut – und sich selbst ein Haus aus Brettern nördlich von Berlin (oben). Da wird heute gefeiert. Fotos: Uwe Steinert, Promo/Götz Schleser

© Uwe Steinert

Berlin: Herr der Hütten und Paläste

Vom Zimmermann zum Stararchitekten der DDR: Manfred Prassers Bauten prägen Berlins Mitte – heute wird er 80.

Kaum ein Architekt hat seine Spuren in Beton und Stein so intensiv im jüngsten Berliner Stadtbild hinterlassen wie Manfred Prasser. Der Architekt und Bauingenieur wird am heutigen Donnerstag 80 Jahre alt, er will und kann nicht aufhören – wälzt Pläne und Projekte, mischt sich ein, entwirft ganze Städte neu und sprüht vor Lebenslust. Letztens hat ihn jemand mit Ernest Hemingway verglichen: Kluges Kraftpaket, grauer Backenbart, funkelnde Augen, gefurchte Stirn. Eigentlich alterslos. So kennen ihn viele, seit der geborene Chemnitzer 1960 als Architekt zum VEB Berlin-Projekt kam. Die Aufträge wurden von Jahr zu Jahr größer, und es schien, als wäre das Komplizierteste genau das Richtige für den Kämpfertyp, der sich mit seinem breiten Sächsisch alle Wege freiräumt wie ein Bulldozer und dessen Zeichenkunst mit zarten Linien und Strichen freilich die andere Seite des Feingeistes zeigt.

Jedes Großprojekt, das er nach dem Flughafen Leipzig-Halle in Ost-Berlin unter der Schirmherrschaft des genialen Baumanagers Ehrhardt Gißke realisierte, hatte seine eigene, manchmal ziemlich verrückte Geschichte. 1984 wurde das aus Trümmern auferstandene Schauspielhaus als Weltkind in der Mitten zwischen den (ebenfalls wiedererrichteten) beiden Domen als Konzerthalle eröffnet: „Außen Schinkel und innen Prasser“ sagt der Architekt und erinnert sich an eine Zusammenkunft beim damaligen DDR-Kulturminister Hoffmann.

Dort waren die Befürworter einer modernen Innenarchitektur tonangebend, bis sich der Genosse Prasser meldete: „Es muss eine wilde, erregte Rede gewesen sein“, erinnert er sich, sprach von Mittelmaß und Flucht aus der Verantwortung. „Wenn wir es nicht fertigbringen, etwas Eigenes, Unverwechselbares zu machen, das man nur hier findet und bei dem wir keine Angst vor der Courage haben, etwas Neues zu wagen, das eigentlich das Alte ist, kurz: wenn wir uns dem Zeitgeschmack anbiedern – dann, verehrter Herr Minister, könnt ihr hier Eure DDR selber bauen, ohne mich!“. Der Minister meinte, so eine schöne Rede noch nie von einem Architekten gehört zu haben: „Du hast mich überzeugt. Wir machen das“.

Oder beim neuen Friedrichstadt-Palast. „Ich baue keinen billigen Larifari-Schuppen, von dem die Leute sagen: Guckt mal, das ist die kleinkarierte DDR“. Also durften Gißke, Prasser und Intendant Struck mit 15 DM-West-Tagesgeld in der Tasche ins Sündenbabel des Klassenfeindes nach Paris reisen, um im Lido die Flugwerke artistischer Nummern zu studieren und im Folies Bergère das runde Wasserbecken im Bühnenboden zu bestaunen. Bei dieser Gelegenheit wurde der schwergewichtige DDR-Mensch auf die Bühne geholt, wo er mit einem scharfen Can-Can den ersten Preis ertanzte. Um damit nicht durch den Zoll zu müssen, wurde die Drei-Liter-Flasche Cognac von der Delegation sogleich niedergemacht, es muss furchtbar gewesen sein.

Nie war der Architekt allein, stets holte er sich Verbündete ins Boot. Auch bei seinem Glanzstück, dem großen, wandelbaren Saal im Palast der Republik. Einmalig in seiner Vielseitigkeit und Funktionalität, etwas, „worüber die Welt staunen sollte“. Oft waren List und Tücke gefragt. Für den Saal mit seiner Maschinerie und der elftausend Tonnen schweren Stahlskelettkonstruktion braucht er die Mitarbeit vom Sächsischen Brücken- und Stahlhochbau. Der baute Förderbrücken, aber der Berliner Renommier-Palast war ihm ziemlich egal. Prasser brauchte den Chef. „Das ging nur über die Sekretärin. Ich rief dort an und sagte: Wenn sie es schaffen, dass ich an Ihren Chef rankomme, knutsche ich Sie ab, Ehrenwort“. Er hatte Glück, bekam seinen Termin, fuhr nach Dresden, kaufte einen großen Blumenstrauß, schenkte ihn der Sekretärin – und der Chef sagte: So einem Verrückten müssen wir einfach helfen.

So lief das auch beim „Hilton“ oder bei den früheren, in der DDR geplanten Friedrichstadtpassagen, deren Abriss nach der Wende Manfred Prasser aus seinem Bürofenster erdulden musste. Vom Palast der Republik ganz zu schweigen. Da half auch kein Nationalpreis mehr. Die Vernichtung von Werten tut ihm nicht weniger weh als die Ideenlosigkeit manch heutiger Bauprojekte und die allgemeine Diktatur des Kapitals. Was freut den Architekten, der vor 60 Jahren als Zimmermann angefangen hatte, an so einem Jubeltag, wo er alle Freunde in seinem kleinen selbst entworfenen Prasser-Palast nördlich von Berlin um sich vereint? „Dass ich dieses Haus mitten in die Natur gebaut habe. Früher hätte ich kein einziges Brett bekommen. Und heute? Millionen Bretter und ein Schlaraffenland an Möglichkeiten.“ Was wünscht sich der Jubilar? „Gesundheit. Frieden. Und eine kleine Handvoll Kohle unterm Kiel“.

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