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Berlin: Hertie in Berlin – ein Name erlischt

Einst war die Stadt Hochburg des Unternehmens. Nun schließt das Kaufhaus in Neukölln

„Ein Albtraum für ganz Neukölln“, sagt Eveline Kuffner auf der Rolltreppe. Sie gleitet vom 1. Stock ins Erdgeschoss, das fast leer geräumte Kaufhaus drückt ihr aufs Gemüt, auch unten das Gewühl um die paar Wühltische mit Krawatten und Hosen für einen oder drei Euro. „Ich bin mit dem Kaufhaus groß geworden, schon meine Eltern haben hier eingekauft“, sagt die Neuköllnerin. Das gewohnte Haus schließt heute um 14 Uhr für immer. Damit ist auch der Name Hertie in Berlin verschwunden. Dabei war die Stadt mit acht Häusern für Hertie einst eine Bastion.

Der letzte Rest der Hochburg sieht fast wie ein Rohbau aus. Heute wird kaum noch was zu verkaufen sein. Die Stammkunden sind entsetzt. „Die machen nicht nur die Karl-Marx-Straße, die machen ganz Neukölln nieder“, schimpft Hildegard Bunsen. „Die“ – das sind die Manager in den höchsten Etagen. Drei Verkäuferinnen, die in der Leere des Erdgeschosses einsam herumstehen, nicken traurig. „Wir haben uns zu Weihnachten nur eines gewünscht: einen neuen Job!“

Elmar Kratz von der Essener Unternehmenszentrale von Karstadt weiß, was Hertie für Berlin bedeutete. Er spricht von einem schweren Entschluss. Aber es sei eben nach der Wende für das Haus immer schwieriger geworden: „Kaufkraftrückgang, Arbeitslosigkeit, Entwicklung des Umfelds“, das waren die Faktoren, die dem Haus die Zukunft nahmen. Keine Chance mehr für Hertie an der Spree. „In Berlin ist man immer über Hertie gestolpert“, sagt Kratz mit leichter Wehmut. Er erinnert sich an die berühmten Häuser in der Wilmersdorfer oder der Turmstraße – der Kaufhausname war fast in jedem größeren Stadtteil vertreten. Hertie, das hatte in den sechziger und siebziger Jahren einen besseren, einen moderneren Klang als Karstadt, das ein wenig verschlafen wirkte. Das einstige Karstadt an der Badenschen Straße in Wilmersdorf wirkte rührend provinziell. Großstädtisch frisch dagegen zeigte sich Hertie: Da bekamen Kunden wirklich alles.Hertie – das war die Abkürzung von Hermann Tietz, der Ende des 19. Jahrhunderts in Berlin ein Stoffgeschäft gegründet hatte. Nun bleibt der Name nur für ein einziges Haus in München erhalten.

Unter seinem Dach beherbergte der Hertie-Konzern einst auch das KaDeWe und Wertheim als edlere Versionen. Bilka dagegen sprach sparsamere Kunden an. Karstadt, Kaufhof, Hertie und Horten – in dieser Rangfolge waren die vier Unternehmen die Kaufhaus-Größen in Westdeutschland. In West-Berlin aber schienen Kaufhof und Horten (außer einer kleinen Filiale im Märkischen Viertel) weithin unbekannt. Hertie war der einsame Platzhirsch. Dass später Horten vom Kaufhof, vor allem aber Hertie von Karstadt übernommen wurde – das wirkte sich nur langsam aus. Stück für Stück aber starben die Häuser, zuletzt das Hertie am Walther-Schreiber-Platz.

In Neukölln bahnte sich schon vor eineinhalb Jahren das Ende an, viele Mitarbeiter wurden entlassen. Sven Ertel vom Uhren-Schmuck-Service war zwölf Jahre im Haus. Sein Stand ist am Freitag so gut wie abgeräumt. Viele der letzten 90 Mitarbeiter hätten Angst vor der Zukunft, sagt er. Er sei traurig, aber auch gelassen. „Ich bin ein guter Verkäufer, ich wollte mich schon lange verändern.“

Und er wünscht seinen letzten Kunden frohe Weihnachten.

Christian van Lessen

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