zum Hauptinhalt
Sebastian Weber lebt seit einem Monat in einem Klassenzimmer - er ist der neueste Hauswächter einer Privatschule in Reinickendorf.

© Doris Spiekermann-Klaas

Berlin: Hier ist besetzt

Mieter statt Wachschutz: In einer ungenutzten Schule leben 18 Bewohner und genießen den Freiraum. Allerdings gibt’s ein Problem.

Risse durchziehen den Asphalt, der Rasen wuchert vor sich hin, die Markierungen auf dem Basketballfeld verblassen. Auf dem Pausenhof des französischen Collège Voltaire ist die Zeit nicht nur sprichwörtlich stehen geblieben: Die Uhr über dem Eingang zeigt beharrlich Viertel vor zwei. Die Schüler, ihr Lärm und das Leben sind umgezogen. Zurück blieb ein abgelebtes Gebäude, 23 000 Quadratmeter Leere, Standort: Reinickendorf.

Doch an der grünen Pforte hängt ein Schild: „Bewacht durch Bewohnung“. Die Schule ist ein Pilotprojekt, 18 Hauswächter sind hier Ende 2011 eingezogen. Sie wohnen gegen eine Monatsgebühr von 175 Euro in Klassenzimmern, im angrenzenden Kindergarten oder im Rektorenzimmer und sollen durch ihre Präsenz Vandalen verscheuchen. Die Firma Camelot vermittelt die Aufpasser an Immobilienbesitzer – und kontrolliert, ob sich alle an die Regeln halten.

Dirk Rahn, Klemmbrett und schneller Schritt, startet seinen Rundgang in der Aula. Neben alte Referate hat seine Firma die Hausordnung für die Wächter gepinnt: Zigaretten, Kerzen und Haustiere verboten, Müll rausbringen, Fluchtwege freihalten. Rauchmelder ja bitte, Partys nein danke. Wer länger als drei Tage verreist, muss sich abmelden. Rahn geht durch muffige Gänge, vorbei am Biologieraum. Die Stühle stehen auf den Tischen, an der Tafel sieht man letzte Kreideschlieren, schwere grüne Vorhänge schlucken das Tageslicht.

Selbstverständlich kündige er jeden Besuch an, versichert Rahn – „durch Klopfzeichen“. Gesagt, getan. „Firma Camelot!“, ruft er. Durch die Glastür lugt ein junger Mann in Hauslatschen und Kapuzenpulli. Sebastian Weber ist der neueste Bewohner der Schule und erntet prompt ein Lob: „Sie haben den Rauchmelder angebracht“, sagt Rahn und nickt anerkennend. Der Neuankömmling hat es sich im Klassenzimmer nett gemacht: Sein Bett steht mitten im Raum, an der Wand lehnen Gitarren, in der Ecke ein blaues Sofa, neben dem Schreibtisch eine imposante Anlage. „Bis jetzt hat sich noch keiner über die Musik beschwert“, sagt der 26-Jährige. Sein WG-Zimmer in einem Neuköllner Altbau hat er gern gegen die 100 Quadratmeter getauscht. „Der Stuck ist weg“, sagt er und deutet auf die Neonlampen an der Decke, „dafür habe ich jetzt Jalousien wie im Berghain“ – und eine Tafel im Wohnzimmer. Sie ist vollgeschrieben mit mathematischen Funktionen. Vor kurzem büffelte Weber noch fürs Fachabitur. Die Lerngruppe kam zu ihm in die Schule.

Dem idealen Hauswächter kommt Weber ziemlich nah. Verantwortungsvoll sollte er sein, ordentlich, flexibel und ohne Kinder – „die sind nicht mal im Kita-Gebäude erlaubt“, sagt Rahn. Das Konzept von Camelot kommt aus den Niederlanden, wo jedes Haus, das länger als ein Jahr leer steht, legal besetzt werden kann. Da Gebäudeeigentümer lieber gesittete Gäste haben, sind europaweit 10 000 Camelot-Wächter im Einsatz. „Die Leute wollen fetzig wohnen“, sagt Rahn. Deswegen gehen Luxusvillen und Schulgebäude besser weg als Reihenhäuser im Osten.

Anja Wilfling, angehende Anwältin, sah im Fernsehen einen Bericht über das Konzept und ließ sich registrieren. Dann zog die 32-Jährige aus einem Studentenwohnheim in Potsdam in den Kindergarten in Reinickendorf. Hier gibt es alles im Miniaturformat: Tische, Stühle – und Waschräume. „Ich benutze aber die Toilette der Erzieher“, sagt Wilfling lachend. Ihr Zimmer hat sie liebevoll eingerichtet: ein Schminkspiegel neben dem Bett, Vorhänge als Raumteiler, Deko aus Lichtschläuchen, sogar einen Teppich hat sie aufs Linoleum gelegt. Nur eine Wand blieb kahl: „Hier spiele ich Squash, wenn mir kalt ist.“ Mit ihrem Skateboard düst sie über den Hof, wenn sie die langen Flure putzt, zieht sie Inline-Skates an. „So ein Leben wie hier werde ich nie wieder haben“, sagt Wilfing. Sie will hierbleiben, solange es geht. Aber auch das gehört zum Vertrag mit Camelot: Wenn sich ein Käufer findet, müssen die Wächter binnen vier Wochen ausziehen. „Es gibt Interessenten“, sagt Dirk Rahn, „aber noch ist nichts unterschrieben.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false