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Berlin: Hilfe ließ auf sich warten – bis es zu spät war

Prozessauftakt um den elenden Tod eines 68-jährigen Mannes im Pflegeheim Angeklagte weisen „Schuld im strafrechtlichen Sinne“ von sich

Lange hat er sich gegen ein Heim gewehrt. Weil er als Kind in einer solchen Umgebung aufgewachsen und dort nicht glücklich war. Im Alter wollte sich Wolfgang K. solche Erfahrungen ersparen. Nach einem Sturz aber hatte der 68-Jährige keine andere Wahl. Er kam in ein Pflegeheim in Kreuzberg; es soll nicht leicht mit ihm gewesen sein. Knapp drei Monate später wurden gegen das Heim schwere Vorwürfe erhoben: K. sei grob vernachlässigt worden, hieß in der Anzeige des Urbankrankenhauses. Zwei leitende Mitarbeiterinnen des Heimes und die Hausärztin aber weisen eine „Schuld im strafrechtlichen Sinne“ von sich.

Sie seien sehr betroffen über das Schicksal des Mannes, erklärten die Frauen gestern im Prozess vor dem Amtsgericht Tiergarten. Durch die Pflegekräfte seien vorher keine Auffälligkeiten gemeldet worden, versicherten die 50-jährige Pflegedienstleiterin und die 27-jährige Wohnbereichsleiterin. Der Rentner sei Mitte März 2003 aufgenommen worden. Der Mann, der einst in einem Bleiwerk tätig war, sei sehr dünn gewesen und habe wenig Lebensmut gezeigt. „Fast an jeden dritten Tag“ im fraglichen Zeitraum seien Ärzte bei ihm gewesen. Er habe in der Zeit auch in einer Klinik gelegen, weil er sich geweigert habe zu essen.

Als Wolfgang K. ins Urbankrankenhaus gebracht wurde, bot sich den dortigen Ärzten ein erschütterndes Bild. „Er war außerordentlich blass, deutlich untergewichtig, nicht ansprechbar“, sagte der Leiter der Rettungsstelle im Prozess. Eine durchgelegene Stelle, ein Geschwür an der rechten Hand und ein großer Hodenabszess, aus dem Eiter floss, wurden festgestellt. Der Rentner starb wenig später an einer Blutvergiftung. „Alles deutet darauf hin, dass lang andauernde Prozesse zu dem Zustand des Mannes führten“, erklärte der Zeuge. Für den Arzt ist der Fall ein trauriges Beispiel für Vernachlässigung von alten und chronisch kranken Menschen. „Er war in einem Pflegeheim. Ich frage mich, wer und ob überhaupt jemand die Decke hochgehoben hat.“

Es ließ sich nicht mit Sicherheit sagen, dass der Abszess zum Tod führte. Deshalb geht es um fahrlässige Körperverletzung. Bereits im Mai wurde laut Anklage eine Rötung im Intimbereich festgestellt. Zu Konsequenzen habe das nicht geführt. Die Hausärztin wurde von einer Gutachterin, die die Pflegedokumentation ausgewertet hat, entlastet: „Sie war nicht in der Lage zu reagieren, weil sie nicht ordnungsgemäß informiert wurde.“ Zunächst hatte die Staatsanwaltschaft gegen 18 Personen ermittelt, die mit der Betreuung des Rentners befasst waren. Die meisten Verfahren wurden mangels Tatnachweis eingestellt.

Der Prozess wird am 27. Januar fortgesetzt.

Kerstin Gehrke

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