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Hilfsbereitschaft: In Berlin boomt die Kultur des Mitmachens

Zwei Drittel der Hauptstädter sind bereit, sich ehrenamtlich zu engagieren. Beim „Tag der Freiwilligen“ am Samstag stellt die Vermittlungsbörse stellt 50 Initiativen vor.

Von Jahr zu Jahr übernehmen mehr Berliner Verantwortung für ihre Stadt. Sie helfen Schülern bei Hausaufgaben und Migranten beim Einleben, sie gründen Stiftungen und organisieren Ausstellungen, sie besuchen Kranke und alleinerziehende Mütter. Experten sprechen von einem regelrechten „Boom“ an freiwilligem, unbezahltem Engagement.

30 Prozent der 3, 4 Millionen Berliner arbeiten in Vereinen, Kiezprojekten und Stiftungen mit, ohne einen Cent dafür zu bekommen, im Westen der Stadt mittlerweile genauso viele wie im Osten. Vor zehn Jahren waren es nur etwas mehr als 20 Prozent. Weitere 30 Prozent wären bereit dazu, wissen aber nicht, wie und wo sie beginnen sollen. Dies belegen Umfragen, die das Landesnetzwerk Bürgerengagement in Berlin und das Bundesfamilienministerium durchgeführt haben.

„Die Menschen sind sehr auf der Suche, wo sie helfen können“, sagt Carola Schaaf-Derichs vom „Treffpunkt Hilfsbereitschaft“, der ältesten Freiwilligenagentur Berlins. Um den Willigen, noch Unentschlossenen den entscheidenden Anstoß zu geben, findet am Sonnabend die erste „Berliner Freiwilligenbörse“ statt, bei der sich 50 Initiativen vorstellen. „Die Bürger sind frustriert von der Politik“, sagt Stefan Nährlich, Geschäftsführer des Vereins „Aktive Bürgerschaft“. Ständig würden die gleichen Themen durchgekaut, ohne dass sich etwas ändere. Immer mehr nehmen die Geschicke selbst in die Hand.

Auffällig ist, dass sich viele junge Leute beteiligen. „Bin 24 Jahre alt, auszubildender Chemielaborant, jobbe in Fast-Food-Kette, treibe Sport. Würde mich gerne um kranke Menschen kümmern“, lautet eine der typischen Bewerbungen, die täglich in den 16 Freiwilligenagenturen eingehen. Studenten, die neu in der Stadt sind, wollen über die ehrenamtliche Tätigkeit Leute kennen lernen, sich neben der Theorie praktische Fähigkeiten aneignen oder einfach mit anderen Spaß haben. Sie sind bereit, Aufgaben zu übernehmen und Zeit zu investieren, erwarten aber professionelle Rahmenbedingungen. „Den Selbstlosen, der sich aufopfert, gibt es immer weniger“, sagt Carola Schaaf-Derichs. „Den wollen wir auch nicht, sondern zeigen, dass das Engagement für alle Seiten Gewinn bringt.“ Etwa auch für die Intergration unterschiedlicher Kulturen. Wenn man zusammen Klassenzimmer streicht oder die Söhne auf dem Fußballplatz trainiert, spielt es keine große Rolle, woher der andere kommt, Hauptsache, die gemeinsame Sache gelingt.

Auch Unternehmen beteiligen sich zunehmend an Hilfsprojekten. Jedes Jahr gründen die Berliner außerdem Dutzende Stiftungen. 2006 kamen 44 neue dazu mit insgesamt 15,3 Millionen Kapital, 2007 waren es 29 mit insgesamt 42 Millionen Euro Kapital. 610 Stiftungen gibt es momentan in Berlin. Die vor neun Jahren ins Leben gerufene Bürgerstiftung Berlin treibt Ableger: Neukölln hat seit zwei Jahren eine eigene Bürgerstiftung, in Steglitz, Lichtenberg und Prenzlauer Berg haben Anwohner Stiftungsinitiativen gestartet. Dennoch belegt Berlin mit 17,8 Stiftungen pro 100 000 Einwohner erst Platz 43 von 82 deutschen Städten. An der Spitze steht Frankfurt am Main mit 71,7 Stiftungen pro 100 000 Einwohnern.

Immer mehr Berliner wollen auch politische Entscheidungen in ihrem Umfeld mitgestalten. Während die traditionelle Arbeit in den Parteien unattraktiver wird, gewinnen Formen direkter Demokratie neue Anziehungskraft. Das zeigt die Beteiligung bei immer neuen Volksbegehren. In Oberschöneweide haben Anwohner und Organisationen zudem nach amerikanischem und englischem Vorbild eine Bürgerplattform gegründet und Politiker zum Handeln gezwungen. In Wedding entsteht gerade eine weitere Bürgerplattform. „In den Kiezen sprudelt es“, sagt Carola Schaafs-Derichs von der Freiwilligenagentur.

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