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Protest an der Wand. An vielen Stellen im Bezirk findet man Indizien des Wandels.

© Kitty Kleist-Heinrich

Gentrifizierung in Berlin: Hip, hipper, Neukölln

Eine der ersten alten Szenekneipen in der Neuköllner Weserstraße schließt, der Mietvertrag wird nicht verlängert. An vielen Stellen im Bezirk steigen die Mieten rasant. Entsteht hier ein neues Prenzlauer Berg?

Ein gutes Jahr hat das „Freie Neukölln“ in der Weserstraße noch. Ende 2014 schließt das Lokal, der Mietvertrag wird nicht verlängert, und Kneipier Matthias Merkle will nicht nach einem neuen Standort suchen. „Das ist nicht mehr mein Berlin“, erklärt er. 2006 hatte er mit dem „Freien Neukölln“ eines der ersten Lokale in der Weserstraße für ein junges, alternatives Publikum eröffnet. Heute sagt er: „Ich habe mitgekriegt, was in Mitte und Prenzlauer Berg passiert. Aber ich habe das hier in Neukölln nicht für möglich gehalten.“ Ist das Ende seiner Kneipe der Anfang vom Ende des Bezirks, wie wir ihn kennen? Ein Zeichen für die Gentrifizierung? Und was heißt das eigentlich genau?

Von Endzeitstimmung ist an diesem Samstagabend im „Freien Neukölln“ jedenfalls nichts zu merken. Stimmengewirr, Gedränge. Nur an einem großen Holztisch in der Mitte des düsteren Nichtraucherraums sind noch zwei Plätze frei. Vier Freunde, alle Mitte 30, unterhalten sich dort tatsächlich gerade über die Mieten in Berlin. „In den 90ern habe ich jedes Jahr meine Wohnung gewechselt, einfach, um was Neues auszuprobieren. Die Mieten waren so billig, das war kein Problem“, erzählt einer. Ein anderer sagt: „Als ich 2009 nach Neukölln gezogen bin, habe ich die ersten sieben Monate mietfrei gewohnt. Der Besitzer wollte, dass sein Haus, ganz am Ende der Weserstraße, nicht komplett leersteht.“ Der erste erklärt: „Heute würde ich nicht aus meiner Wohnung gehen, außer ich muss. Die Nachbarn, die gerade unter mir eingezogen sind, zahlen 200 Euro mehr als ich – für die gleiche Wohnung.“ Prost.

"Der Eigentümer wollte jemand neues."

Matthias Merkle, der an diesem Abend in der Küche seiner Kneipe steht, will nicht mehr darüber reden, was deren Schicksal für Neukölln bedeutet. Er sagt nur:, „Die Hausverwaltung kann am besten sagen, was hier passiert.“ Merkle vermutet, dass das Restaurant nebenan mehr Platz braucht und er deshalb gehen muss.

Eine Mitarbeiterin der Hausverwaltung erklärt ein paar Tage später am Telefon, es sei noch vollkommen unklar, welches Gewerbe 2015 in die Räume ziehen werde. „Der Eigentümer wollte einfach jemand neues. Er wird sich sicherlich für einen Laden entscheiden, der dann in die Straße passt.“

Allein im vergangenen Jahr haben in der Weserstraße drei Modeläden aufgemacht, ein Plattenladen und ein Café. Zu jeder Tageszeit sind junge Menschen unterwegs, ab Donnerstag findet man abends keinen Platz mehr in den Kneipen. Zwischen Sonnenallee und Hermannstraße ist es noch ruhiger, nur wenige Cafés und neue Kneipen haben in den vergangenen Jahren aufgemacht, die meisten im Reuterkiez. Und jenseits der S-Bahn-Station Neukölln hat sich noch kaum etwas getan. Die gleichen Spelunken, Automatencasinos und Wettbüros wie immer. Erstes Fazit: Nur bestimmte Straßenzüge in Neukölln verändern sich.

Leute, die bleiben wollen, können es sich nicht leisten

Der Comedian Murat Topal, aufgewachsen in der Neuköllner Sanderstraße, einer Seitenstraße vom Kottbusser Damm, und früher mal Polizist im Kiez, kann der Veränderung des Bezirks fast nur Positives abgewinnen. „Wenn Cafés und Modeläden die Automatenkasinos und Wettstudios verdrängen, ist das in meinen Augen eine gute Entwicklung“, sagt der 38-Jährige. „Auch die Menschen aus aller Welt bringen eine gute Atmosphäre in den Kiez, viel Toleranz.“ Schlecht sei nur, dass die Mieten gleichzeitig mit dieser Veränderung so stark steigen, dass Menschen, die gern hier bleiben möchten, es sich nicht mehr leisten können. Topal wünscht sich, dass die Politik mehr in die Stadtplanung eingreift. „Sie müssen doch aus den Fehlern in Mitte und Prenzlauer Berg lernen.“

Ähnlich sieht das Heinz Schwarzzenberger, Besitzer der Eckkneipe „Ä“, die im Januar 2007, kurz nach dem „Freien Neukölln“, eröffnet hat. „Ich verstehe die Debatte um Gentrifizierung nicht“, sagt er im Raucherzimmer seiner Kneipe. Es ist früher Dienstagabend, das „Ä“ hat gerade erst aufgemacht, eine Gruppe Spanier trinkt die erste Runde Schnaps. „Es ist eine alte, üble Geschichte, dass Mieten steigen und zu teuer sind, auch in Berlin“, sagt Schwarzzenberger. „In den 80er Jahren hatten wir hier schon mal so eine Situation, da gab es in Berlin praktisch keine bezahlbaren Wohnungen mehr. In den 90er Jahren hat sich die Lage nur kurz wegen des Mauerfalls entspannt. Leider gieren alle nach Profit. Es ist naiv anzunehmen, dass nicht ausgereizt wird, was möglich ist. Das Problem sind fehlende Gesetze.“

Mehr als 1000 Euro für eine Drei-Zimmer-Wohnung

Etwas weiter südlich, im Schillerkiez, sitzen Michaela, 32, und Christopher, 27, in ihrer 90-Quadratmeter Wohnung und schauen die neuesten Wohnungsangebote in der Umgebung an. Mehr als 1000 Euro kosten Drei-Zimmer-Wohnungen gerade, plus Provision für den Makler. „Ein Gehalt würde dann komplett für die Miete draufgehen“, sagt Christopher, der als Bauarbeiter arbeitet. Michaela, Verkäuferin, schüttelt den Kopf. Gerade zahlen sie 456 Euro warm. Seit sieben Jahren leben die beiden in der Wohnung, ihr fünfjähriger Sohn wurde hier geboren. Doch im Frühjahr müssen sie raus. Die Wohnung wurde verkauft, der neue Eigentümer hat Eigenbedarf angemeldet. Die beiden überlegen jetzt, nach Hellersdorf zu ziehen, wo Michaela großgeworden ist und ihre Mutter lebt. „Da kostet eine 80-Quadratmeter-Wohnung noch unter 600 Euro warm – ohne Provision“, sagt Michaela.

„Als ich 2007 zu Christopher nach Neukölln gezogen bin, haben alle gesagt:,Oh Gott, Neukölln’“, sagt sie. „Jetzt will hier jeder her.“ Aus ihrem Wohnzimmerfenster blickt man auf eine kleine Galerie, die im Sommer aufgemacht hat. Christopher sagt: „Das hier ist jetzt ein Szenekiez, allein in den letzten drei Jahren haben hier fast 20 Kneipen, Kunstläden und Cafés aufgemacht. Das wird wie Prenzlauer Berg.“ Er ist in dem Haus, in dem er noch mit Frau und Kind wohnt, aufgewachsen, sein Vater lebt im fünften Stock. Er ist einer der wenigen alten Mieter. In den meisten Wohnungen sind jetzt Wohngemeinschaften untergekommen.Ein Zimmer kostet 400 Euro.

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