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Berlin: Historie abgepinselt

Mit Zahnarztbesteck legten Archäologen am Schlossplatz ihre Funde frei Ab 12. Januar sind die Preziosen im Neuen Museum zu besichtigen.

Die Haushaltsnot hat auch ihr Gutes: Weil der Bundestag den Baustart für das Humboldtforum um knapp zwei Jahre verschob, hatten die Archäologen Zeit genug ihren „Sensationsfund“ aus der Tiefe des Märkischen Sandes zu bergen. Der ist ab 12. Januar im Neuen Museum zu besichtigen: Ein Goldring mit Inschriften, ein Johanniter-Kreuz, getragen von Konrad von Burgsdorff, dessen Sarkophag auch geborgen wurde. Schwarzes Ziegenleder mit Schriftzügen aus vergoldeten Messingnägeln wird zu sehen sein und eine Reise in Berlins Vergangenheit erlauben.

Nach Cölln, um genau zu sein, eine der beiden Hälften der früheren Doppelstadt Berlin-Cölln. Zur Zeit Konrad von Burgsdorff, dem 17. Jahrhundert, stand hier das kurfürstliche Schloss, in dem der Geheimrat als Oberkommandant der märkischen Festungen wirkte. Ein übersichtliches Herrscherhaus war das damals, an das im Süden die Domkirche der Hohenzollern angrenzte. Die gotische Hallenkirche hatten zuvor die Brüder des Dominikanerklosters genutzt, mit Billigung des Papstes wurde sie umgewidmet. Zahlreiche Gruften gab es hier, letzte Ruhestätten von Hohenzollern und Adelsleuten.

Einen „Glücksfall“ nennt Grabungsleiter Michael Maillaris den Fund der Burgsdorff-Gruft. Denn sie blieb unentdeckt, als Preußen im Jahr 1880 hier schon mal graben ließ, auf der Suche nach den verschollenen Kurfürsten Joachim (I. und II) und Johann Cicero. In der damals übersehenen, etwas tiefer gelegenen Gruft entdeckten die Archäologen nun drei Kindersärge und Burgsdorffs Sarkophag aus Zinn und Blei. Unter den 18 hier insgesamt Bestatteten waren 12 Kinder. Die Sterblichkeit der Kleinen war in Berlin hoch in diesen Zeiten.

Zwei von ihnen waren Charlotte Luise und Hedwig Sophie von Canitz. Deren Särge aus Eichenholz wurden mit zwei Schichten Leinengewebe ausgepolstert, mit schwarzem Ziegenleder umhüllt, auf dem mit vergoldeten Nägeln Namen, Geburts- und Todesdaten stehen. Mit Pinseln und Pinzetten, Holzstäben und Zahnarztbesteck entfernten Restauratoren der Hochschule für Technik und Wirtschaft Staub und Schmutz. „Fünf Studentenjahrgänge, 60 Studierende haben daran gearbeitet, neun Bachelor- und sechs Master-Arbeiten haben sie dabei verfasst“, sagt Professorin Alexandra Jeberien.

Aufwendige Bestattungen nach Art der Hohenzollern waren bis ins frühe 20. Jahrhundert in Mode. Zunächst unter Adligen, später unter Bürgersleuten, sofern sie es sich leisten konnten. Die Gruft an der Parochialkirche gibt davon bis heute einen guten Eindruck, sogar Mumien sind dort noch erhalten. Die Gruft löste den Begräbnisplatz an der Domkirche ab – und auch die Funktion des Sakralbaus ging später auf den Berliner Dom über, der heute nördlich von Schloss und Lustgarten gelegen ist.

Die Ausstellung, die drei Monate dauern soll, wird auch den Gebrauch der Totenkronen dokumentieren. Der Kopfschmuck wurde vor allem Kindern bei der Beisetzung aufgesetzt sowie Alleinstehenden und war Teil des christlichen Totenrituals. Ralf Schönball

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