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Berlin: Hitler-Gruß und dumpfe Parolen sind auch und gerade strafbar, wenn sie per TV aus Polen übertragen werden

Der erste Zeuge ist ein echter Hüne. Langsam schlendert der muskulöse Mann mit den kurzgeschorenen Haaren zur Richterbank.

Der erste Zeuge ist ein echter Hüne. Langsam schlendert der muskulöse Mann mit den kurzgeschorenen Haaren zur Richterbank. Als er sich setzt, spannt sich das Hemd über dem breiten Kreuz. Marco W. verbringt seit rund zehn Jahren seine Wochenenden in den Fußballstadien des Landes. Inzwischen, sagt der 34-Jährige, kenne er seine Kandidaten. "Ich habe die beiden Angeklagten im Stadion in Polen gesehen und auch später auf den Videos identifiziert", sagt Marco W., der sich selbst als "szenekundiger Polizeibeamter" bezeichnet.

Die Angeklagten - ein 26-jähriger Bautischler und ein 30-jähriger Arbeitsloser - tragen ähnliche Frisuren wie der Zeuge. Die beiden Berliner waren beim Hitler-Gruß während des Fußball-Länderspiels Polen-Deutschland im September 1996 in Zabrze im Fernsehbild festgehalten, von der Staatsanwaltschaft identifiziert und angeklagt worden. Weil die Hooligans sich aber im Ausland ausgetobt hatten, waren die Männer im Oktober 1997 vom Amtsgericht Tiergarten zunächst freigesprochen worden. Schließlich habe der Gesetzgeber den entsprechenden Paragraphen auf das Inland beschränkt, begründete damals der Richter das Urteil. Die Staatsanwalt legte erfolgreich Revision ein. Nun wird der Fall erneut vor dem Amtsgericht verhandelt.

Die Angeklagten gehörten damals zu einer Gruppe von etwa 300 deutschen Hooligans, die im Stadion der polnischen Stadt randalierten, Nazi-Symbole zeigten und antisemitische Parolen brüllten: Sie seien "wieder einmarschiert" und "in Polen, um Juden zu versohlen", zählt Marco W. die gängigsten Gesänge auf. Später hielten einige Männer im "deutschen Block" ein Transparent in die Höhe: "Schindler-Juden! Wir grüßen euch!" stand darauf.

Als das Kammergericht den Fall an das Amtsgericht zurückverwies, betraten die Juristen mit ihrer Argumentation gewissermaßen Neuland. Denn eigentlich stellt der Paragraph 86a des Strafgesetzbuches das Verwenden von Nazisymbolen nur für das Inland unter Strafe. Doch die Live-Übertragung habe die Straftat von Polen gewissermaßen in die deutschen Wohnzimmer getragen. Außerdem hätten sich die Angeklagten in einer Gruppe Rechtsradikaler befunden, die es offenbar darauf abgesehen hatten, während der Direktübertragung des Spiels nach Deutschland ins Bild zu kommen. Mit anderen Worten: Wenn ein Deutscher das deutsche Fernsehen für solche Zwecke nutzt, kann es doch kein Unterschied sein, ob er dabei auf dem Marktplatz in Rostock oder im Stadion von Danzig steht.

Die Verteidiger beantragten erfolglos, den Fall an das Bundesverfassungsgericht zu geben, da die Auslegung des Paragraphen 86a verfassungswidrig sei. Der Staatsanwalt hält die neue Interpretation lediglich für modern: Da nicht alle Jahre die Gesetze geändert werden können, müsse man sich bei der Auslegung den veränderten Lebensverhältnissen anpassen. In Polen wären sie schwer zu belangen. Zwar ist es dort strafbar, "den Faschismus zu loben", doch ist der Hitler-Gruß nicht ausdrücklich verboten.

Die Chancen der Angeklagten, noch einmal mit einem Freispruch davon zu kommen, stehen nicht gut. Letzte Woche stand wegen des gleichen Delikts bereits einer ihrer Bekannten, ein Anhänger des 1. FC Union, vor Gericht. Der 33-Jährige muss nun 4050 Mark Geldstrafe zahlen.

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