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Berlin: Homosexualität: Erotikmuseum statt Kaffeekränzchen

Seniorenarbeit ist gleich Kaffeekränzchen, Busfahrten und Tanztee? In Friedrichshain-Kreuzberg sieht das jetzt etwas anders aus.

Seniorenarbeit ist gleich Kaffeekränzchen, Busfahrten und Tanztee? In Friedrichshain-Kreuzberg sieht das jetzt etwas anders aus. Hier stehen neuerdings Besuche im Erotikmuseum, Travestieshows und Kneipenspaziergänge auf dem Programm für eine Zielgruppe, die bisher in der Öffentlichkeit so gut wie gar nicht wahrgenommen wurde. "Die Veranstaltungsreihe, die der Bezirk zusätzlich zu seiner Seniorenarbeit anbietet, ist offen für alle, richtet sich inhaltlich aber vor allem an ältere Schwule und Lesben", sagt Ruppert Pleier vom Seniorenamt. Diese Leute würden in Alteneinrichtungen häufig mit einem Umfeld konfrontiert, in dem Homosexualität nach wie vor vollständig tabuisiert sei. Sie will Pleier mit seinem Angebot aus der Isolierung herausholen. Das etwas andere Unterhaltungsprogramm, zu dem auch Lesungen mit homosexuellen Schrifstellern oder Auftritte von Szene-Chören gehören, stößt auch bei heterosexuellen Senioren auf reges Interesse, doch zu Gesprächen über die Situation und die Probleme von Homosexuellen kommt es leider sehr selten. "Solche Unterhaltungen findet eher in den Selbsthilfegruppen statt", sagt Pleier.

Zum Beispiel in der Gruppe "Vierjahreszeiten" in Potsdam, in der der 62-Jährige Michael Krüger seit einigen Jahren "eine Art Familie" gefunden hat. Für schwule Männer seien solche Angebote sehr wichtig, sagt Krüger, da die Szene für seine Altersklasse kaum Anlaufpunkte biete. "Mit vierzig wird man in einer Schwulenkneipe schon blöd angeguckt", bedauert Krüger den Jugendkult unter Homosexuellen.

"Homosexualität ist für Menschen, die heute 60 und älter sind, ohnehin viel weniger selbstverständlich, als für die Jüngeren", sagt Gerd Simon, Organisator der Gruppe "40 plus". Viel zu sehr sei ihre Erfahrung davon geprägt gewesen, sich verstecken zu müssen. Ein 74-Jähriges Gruppenmitglied kann sich noch gut daran erinnern, wie sehr ihn als Jugendlicher in den 40er Jahren die Nachricht schockierte, dass sich ein Bekannter in seiner Gefängniszelle erhängt hatte, weil er als 175er galt und Angst vor dem KZ hatte. Der Paragraf 175, der homosexuelle Handlungen unter Strafe stellte, war von den Nationalsozialisten verschärft worden und galt in der Bundesrepublik in dieser Form bis 1969. Abgeschafft wurde er erst 1994. Ein anderer Mann aus der Gruppe wurde 1954 von seiner Stiefmutter wegen seiner Homosexualität angezeigt und zu drei Monaten Jugendhaft auf Bewährung verurteilt. Obwohl er in einer homosexuellen Partnerschaft lebte, trug er anfangs stets das Foto einer "Alibi-Freundin" im Portemonnaie mit sich herum. "Bevor man in eine Schwulenkneipe ging, hat man sich an der Ecke dreimal umgeschaut" erzählt er. Die Polizei veranstaltete in den einschlägigen Lokalen regelmäßig Razzien. Leute, die im öffentlichen Dienst arbeiteten, mussten mit dem Verlust ihres Arbeitsplatzes rechnen, wenn sie an einem solchen Ort angetroffen wurden.

Frauen, die sich zu Frauen hingezogen fühlten, mussten zwar seltener mit staatlichen Repressionen rechnen, dafür wurde die weibliche Homosexualität noch viel hartnäckiger totgeschwiegen als die männliche. "Ich hatte immer sehr enge Beziehungen zu Frauen", erinnert sich die heute 82-jährige Doli Hilbert. "Aber auf die Idee, dass man mit Frauen auch ins Bett gehen kann, bin ich überhaupt nicht gekommen." Ihre erste Beziehung mit einer Frau hatte sie mit 60 Jahren. "Lesbe, den Begriff gab es gar nicht", sagt auch die 75-Jährige Eva Bornemann, die sich erst mit 60 Jahren eingestand, dass sie Frauen liebte. Ihre Freundin Helga, 62, war da schon mutiger. Zwar hat auch sie zunächst geheiratet, obwohl sie, wie sie sagt, am Traualtar gewusst hätte, dass sie eigentlich hätte nein sagen müssen, doch begann sie nach und nach, aus der Rolle der Ehefrau auszubrechen. Helga und Eva engagieren sich gemeinsam bei "Safia", einer Gruppe für ältere lesbische Frauen.

Eintragen lassen möchten sie ihre Partnerschaft jedoch nicht. Dass man die rechtlichen Dinge regeln könne, das sei ganz wichtig, sagen beide, doch Hochzeit, das muss nicht sein. Ein Unbehagen, das sie mit vielen älteren Homosexuellen teilen. Auch ein 62-Jähriger aus der Gruppe "40 plus", der vierzig Jahre mit seinem Freund zusammen lebte, winkt ab. "Blümchen, Kränzchen und der ganze Quatsch, das finde ich idiotisch. Und außerdem", sagt er, "da hätte man ja zum Chef gehen müssen, und sagen, ich habe jetzt einen Ehemann - also wirklich nicht!"

Katharina Schuler

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