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Berlin: Honecker, vierter Stock, einmal klingeln

An der Friedrichstraße ist, fast unbeachtet, ein neues Wachsfiguren-Kabinett entstanden. Das alte „Panoptikum“ aber wartet noch auf den Einsatz

Hinterm Eingang sitzt Goethe. Versonnen, in sich gekehrt, als wolle er nicht sehen, was um ihn herum passiert. Im Zimmer gegenüber haben Stalin, Churchill und Roosevelt auf einem Sofa Platz genommen. Ein paar Schritte daneben, mit dem Rücken zum Fenster, hat sich Hitler aufgestellt, mit bemerkenswerter Sanftmut im Gesicht. Auf einem Podest steht Michael Schumacher in roter Rennmontur. Durch die große Glasscheibe scheint er auf den früheren Checkpoint Charlie hinunter zu rufen – als verkünde er gerade seinen jüngsten Sieg in Australien. Er breitet die Arme aus wie ein Friedensengel. Von der Straße aus ist er hinter dem Fenster in luftiger Höhe aber kaum zu erkennen.

Und oben, im vierten Stock, nehmen ihn und die anderen ringsum auch kaum Leute wahr, obwohl die Räume doch voller Menschen sind - auf den ersten Blick. Aber wer hier steht, wirkt wächsern und bleich: Honecker mit kämpferisch erhobenem Arm in billig wirkendem Zwirn, Gorbatschow, Putin und Jelzin schon gepflegter gekleidet. Die Zarenfamilie, Charlie Chaplin, Michael Jackson oder Prinzessin Diana - sie wirken im vierten Stock des Geschäftshauses Friedrichstraße 45 etwas verloren. Während sich unten auf der Straße Touristen in den Checkpoint-Rummel stürzen und begeistert von Vopo-Schauspielern kontrollieren lassen, bleibt der Hinweis auf das Wachsfigurenkabinett ziemlich unbeachtet. Wer zu Goethe und den anderen will, muss erst einmal den richtigen Eingang suchen und dann eine Klingeltaste drücken, um ins Haus zu kommen. Und dann noch auf den Aufzug warten – das schreckt wohl ab.

Rund 20, 30 Leute am Tag sind ein bisschen wenig, meint Ina Vollstädt. Die gebürtige Russin hat die Puppen vom Wachsfigurenkabinett Petersburg übernommen und seit Januar die Etage gemietet. Im Erdgeschoss seien die Räume zu teuer, sagt sie. Aber wenigstens kämen einige Stadtführer vorbei. „Bei uns“, so der Slogan des Kabinetts, „können Sie die Persönlichkeiten der Vergangenheit und die Stars von heute hautnah bewundern und sich mit ihnen fotografieren lassen.“ Mit Hitler mag sich allerdings kaum einer blicken lassen. Honecker wiederum ist das beliebteste Motiv. Gestern, am Sonntag, hat ihn beispielsweise eine Gruppe Jugendlicher aus Mainz in Beschlag genommen. Der Politiker Strauß, der daneben steht, ist vielen gar kein Begriff mehr, Prinzessin Diana wiederum ist ungebrochen populär.

Als „Lady Di“ stand sie schon im „ Panoptikum“, das vor gut acht Jahren im alten Kudamm-Eck seine Pforten schloss. Dem Panoptikum kam damals Hitler nicht in Haus, obwohl die große Londoner Wachspuppenschau der Madame Tussaud, Vorbild aller Kabinette, keine Scheu hat, ihn zu zeigen. „Die Briten haben dazu ein anderes Verhältnis“, sagt der frühere Panoptikum-Geschäftsführer Rainer Micklich. Offenbar auch die Petersburger, die 70 ihrer Puppen im neuen Berliner Wachsfiguren-Kabinett zeigen.

Napoleon, Helmut Kohl, Harald Juhnke, die mit über 100 anderen Ausstellungsstücken zum alten Panoptikum gehörten, warten noch immer auf ihren großen Auftritt. Seit Jahren lagern sie in den Kisten einer Spedition in Großbeeren, aber die lange Wartezeit scheint sich dem Ende zu nähern. Die Figuren gehören dem Immobilienunternehmen Grothe, dem sie 1976 mit dem Kauf des Kudamm-Ecks zufielen. Eigentlich sollten sie nach dem Neubau des Ecks dort wieder ihren Platz finden – der Plan zerschlug sich. Nun ist als Domizil der gerade entstehende Hotel-Neubau auf dem Gelände des früheren C&A-Kaufhauses an der Augsburger Ecke Joachimstaler Straße vorgesehen.

Das erste Berliner Panoptikum wurde 1873 gegründet - unter anderen von Rudolf Virchow. Es zählte in der Friedrichstraße zu den Attraktionen der einstigen Kaisergalerie. Goethe war natürlich auch schon dabei.

Christian van Lessen

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