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Der Teig ist wie das Leben. Die Zwillinge Ilanit und Yael (rechts) backen mit ihrer Mutter Angelika das Challah.

© Thilo Rückeis

Hotel Interconti feiert Koscher-Fest: Beten und Backen

Der Hefezopf Challah ist das traditionelle jüdische Schabbatbrot. Im Hotel Interconti wurde zu Beginn des Koscher-Festes geknetet und geflochten. Ein religiöses Erlebnis für Orthodoxe.

Der Festsaal im Hotel Interconti ist kaum wiederzuerkennen: 200 Frauen, Kinder und auch ein paar einsame Männer kneten in 200 Schüsseln Teig – und sprechen dabei laut durcheinander auf Hebräisch, Deutsch, Englisch und Russisch. „Come on, Ladies, der Teig ist wie euer Leben! Setzt eure Kraft ein“, ruft Shaina Teichtal ins Mikro und feuert die Frauen beim Kneten an. Sie kommt aus den USA, leitet eine jüdisch-orthodoxe Schule und ist die Frau eines Rabbiners.

Es ist Sonntagmittag. Der erste Höhepunkt des Koscher-Festes der orthodoxen jüdischen Gemeinde Chabad Lubawitsch findet statt: das „Mega-Challah-Backen“. Die Challah, ein Hefezopf, ist das traditionelle Schabbatbrot.

Nicht ganz so fromme Juden kaufen den Zopf beim Bäcker. Doch damit bringen sie sich, wie die Gäste an diesem Mittag erfahren, um ein religiöses Erlebnis. Nachdem die Frauen die Zutaten vermengt haben, bittet Shaina Teichtal um Ruhe. Jetzt sollen alle einen Zipfel des Teigs absondern und ein Gebet sprechen. „Baruch ata adonaj...“, murmeln die Frauen. „Gesegnet seist du, Gott.“ Ein Stück vom Challah-Teig abzuzweigen, ist ein Brauch aus biblischen Zeiten, als in Jerusalem ein jüdischer Tempel stand. Der abgesonderte Teigzipfel wurde im Tempel Gott geopfert. Während die Frauen beten – einige schließen die Augen und es wird still –, sollen sie sich etwas wünschen.

Die Männer beten in der Synagoge, die Frauen beten beim Backen: Das Frauenbild der Lubawitscher ist traditionell. Es gibt auch klare Kleidervorschriften. Die Frauen tragen lange Röcke und bedecken oder scheren ihr Haar. Und so begegnet man an diesem Vormittag vielen Frauen mit Mütze, Hut oder Perücke.

Die Küchenmaschine knetet

„Ich habe mein Judentum vor zehn Jahren in Berlin wiederentdeckt“, sagt Leah M. Auch sie hat sich ein schwarzes Kopftuch um die Haare gebunden. Sie stammt aus Ungarn und lebt seit langem hier. „Wenn schon jüdisch, dann richtig“, sagt sie. Ihrem Hefezopf sieht man an, dass sie Übung hat.

Die siebenjährigen Zwillingsmädchen Yael und Ilamit manschen genüsslich in ihren Teigschüsseln herum. Ihre Mutter backt auch jeden Freitag Challah. „Aber das Kneten erledigt die Küchenmaschine“, sagt sie. Den Töchtern macht die Handarbeit offensichtlich mehr Spaß.

„So ist jüdisches Leben in Berlin“, kreischt Rabbiner Yehuda Teichtal ins Mikro. In den vergangenen Monaten gab es viele negative Schlagzeilen über jüdisches Leben in Europa. „Wir wollen Licht ins Dunkel bringen“, sagt er. Man wolle zeigen, wie selbstverständlich Juden in Berlin leben. Und zum jüdischen Leben gehört eben dazu, dass man die Speisegesetze einhalte, sagt Teichtal. Koscher sind zum Beispiel Tiere, die zweigespaltene Hufe haben und zugleich Wiederkäuer sind, also Rinder, Schafe, Ziegen. Oder Fische mit Flossen und Schuppen. Ganz wichtig ist, dass fleischige und milchige Produkte getrennt aufbewahrt, getrennt zubereitet und getrennt gegessen werden. Sahne in der Fleischsauce geht nicht. Warum das so ist? Teichtal hat eine einfache Antwort: So steht es in der Thora, und alles andere sei schädlich für den Körper.

Gurken und Weine aus Israel

Die 66-jährige Liliane Leibowitz ist gerade dabei, ihren Teig mit Eigelb zu bestreichen, da bricht es aus ihr heraus: „Ich kann überhaupt nicht verstehen, wie diese ganzen Juden in Berlin leben können. Im Land der Mörder“, sagt sie und deutet um sich. Sie hasse jeden Tag, an dem sie nicht in Jerusalem sein könne. Sie ist für fünf Jahre in Berlin, weil ihr Mann hier in der Baubranche tätig ist. Ihr Vater stammte aus Polen und hat 1924 an der Charité studiert. Er ist als einziger seiner Familie den Nazis entkommen. Liliane Leibowitz ist Fan von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Der habe recht, wenn er die europäischen Juden aufrufe, nach Israel zu kommen.

Nach dem Backen treffen sich viele hundert Menschen im Saal nebenan, wo Stände mit koscheren Lebensmitteln aufgebaut sind. Man kann eingelegte Gurken und Weine aus Israel kaufen, russischen Kaviar, Leinöl aus Werder. Der Interconti-Küchenchef bereitet in einer Kochshow glasierten Kabeljau und Crème brûlée vom Hokkaidokürbis zu. Doch Essen umsonst ist nicht. Die Preise beginnen bei 4,50 Euro für einen Crêpe mit Zimt und Zucker. Zum Lebensglück gehört eben auch das nötige Kleingeld. Das haben die Frauen beim Backen gelernt: Das Öl für den Teig symbolisiert das Schöne im Leben. Das Mehl steht fürs Geld, das die Schönheit ermöglicht.

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