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Ich bin ein BERLINER (100): "Und dann explodierte der Platz"

Owen Davies lebt in London und Berlin. Seine Kindheit gehörte ganz der geteilten Stadt - und damit auch seine Ängste und Hoffnungen. Der 63-Jährige beendet unsere Serie "Ich bin ein Berliner" - und spricht darüber, wie er die Rede vom 26. Juni 1963 als 13-Jähriger erlebte.

Ich bin gebürtiger Berliner, mit englischen Wurzeln. Ich wohne hauptsächlich in London, bin aber sehr oft in Berlin, ich habe eine Wohnung in Charlottenburg, meine Frau ist Ärztin hier. Als ich noch ein Kind war, wohnten meine Eltern und ich ganz in der Nähe vom Rathaus Schöneberg, in der Martin-Luther-Straße. Mein Vater war ein großer Liebhaber der deutschen Sprache und der Deutschen vor dem Krieg. Er ist mehrmals mit dem Fahrrad von Wales nach Dresden gefahren.

Im Krieg hat er als Soldat gedient, aber danach wollte er beim Wiederaufbau Deutschlands mitmachen. Er hat sich um einen Platz in der Alliierten Kommandantur beworben. Meine Mutter auch, so haben sie sich hier getroffen in den Trümmern Berlins - romantisch, nicht?

Meine Mutter hat früher für Willy Brandt gearbeitet, sie hat auch für ihn übersetzt, zum Beispiel 1961, als Vizepräsident Lyndon B. Johnson hier war. Und sie erinnerte sich kurz vor ihrem Tod, dass Brandt sie gebeten hatte, Johnson zu fragen, was er als Andenken aus Berlin mitnehmen möchte. Und da hat Johnson gesagt: Ich finde die Schuhe, die Brandt anhat, ziemlich gut! Und dann hat sie solche für Johnson besorgt und der ist mit neuen Schuhen abgereist.

Meine Eltern - und dafür bin ich immer dankbar gewesen - haben sich von Anfang an in die deutsche Gemeinschaft eingefügt. Ich wurde deutsch und englisch aufgezogen, ich habe nur zu Hause Englisch gesprochen, meine ganzen Freunde waren deutsch. Bis ich 13 war, ging ich auf eine deutsche Schule.

Heute vor 50 Jahren bin ich auf die Straße gegangen und habe gesehen, dass der Platz vorm Rathaus voller Leute war, sie standen auf den Dächern, auf den Balkonen, überall. Ich blieb stehen, zwischen all den anderen, die Atmosphäre war elektrisch. Kennedy hat uns ein bisschen Hoffnung gemacht: Als Kind in Berlin hat man einige Ängste durchgemacht, die Mauer und die Kuba-Krise. Ich habe eigentlich nie gedacht, dass diese Mauer verschwinden könnte, so lange ich lebe. Und Kennedy vermittelte den Berlinern, dass es irgendwann, irgendwie doch anders sein könnte. Das habe ich sogar als 13-Jähriger gespürt, das war wunderbar.

Ich hätte gerne mal den Dolmetscher kennengelernt, der für Kennedy übersetzt hat. Der war sehr gelobt worden vom Präsidenten. Kennedy ist später zu ihm und hat sich bedankt für seine Übersetzung vom Deutschen ins Deutsche, charmant oder? Kennedy sagte den Satz "Ich bin ein Berliner" zwei Mal. Beim ersten Mal hat der Dolmetscher den Satz übersetzt. Als Kennedy den Satz ein zweites Mal am Ende der Rede sagte, ist der Platz explodiert, die Worte haben so einen Klang gehabt, so eine Wirkung, man wusste sofort, das ist ein Moment von Geschichte.

Als die Mauer fiel, war ich in England, ich arbeitete dort als Anwalt. Ich konnte nicht sofort nach Deutschland kommen, also habe viel mit den Freunden hier telefoniert. Später habe ich mir dann einen Wunsch realisiert, den ich immer hatte. Ich wollte eines Tages mit einem VW-Bus über die Glienicker Brücke fahren, die ich nur als Ort kannte, wo die Spione beider Seiten ausgetauscht wurden. Es war ein wunderbares Erlebnis, ich hatte das Gefühl, dass eine Ära zu Ende war.

Owen Davies, 63, Richter aus London und Charlottenburg: "Meinen Eltern dankbar"
Owen Davies, 63, Richter aus London und Charlottenburg: "Meinen Eltern dankbar"

© Röhlig

Vor 50 Jahren - am 26. Juni 1963 - hielt John F. Kennedy seine berühmte Berliner Rede. Hier erzählen 100 Berliner, was ihnen diese Worte bedeuten - und wie sie die Stadt heute erleben. Siemens unterstützt das Tagesspiegel-Projekt. Alle bisher erschienen Videos zu der Serie "Ich bin ein Berliner" finden Sie unter: www.tagesspiegel.de/berliner

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