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Berlin: „Ich bin ein Patriot“

Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) fiebert als Fan mit und freut sich über die neue Leichtigkeit der Deutschen

Herr Platzeck, fahren Sie auch mit einer Deutschland-Fahne am Dienstwagen herum, wie Ihr Finanzminister Rainer Speer?

Das nicht, aber wir haben an unserem Privatauto ein schwarz-rot-goldenes Band.

Was empfinden Sie, wenn Sie das Fahnenmeer im Land sehen?

Ich freue mich, weil die Stimmung ausgelassen und fröhlich ist. Ich sage das ganz vorsichtig, denn es werden ja auch wieder schwermütigere Phasen kommen, wenn die WM vorbei ist. Aber ich habe Spaß an dieser Leichtigkeit, die wir Deutschen in diesen Wochen zu entwickeln beginnen. Da ist nichts Verbiestertes, nichts Verbissenes, aber die Fähigkeit, sich zu freuen. Das habe ich mir schon länger für unser Land gewünscht.

Es tut Deutschland gut?

Unbedingt. Das ist für Deutschland, für das Miteinander im Land, ausgesprochen positiv. Wir Deutschen sind ja im dunklen Wald sozialisiert und gern schwermütig... (lacht).

Würden Sie selbst die deutsche Fahne schwenken?

Ich habe es schon getan, weil es zum Fußball gehört. Ich bin ein alter Fußball-Fan, habe selbst viele Jahre gespielt, war Linksaußen in der Studenten-Mannschaft. Weil ich emotional sehr mitgehe, kann ich übrigens auch im Stadion nicht sitzen. Deshalb mag ich zum Beispiel keine Ehrentribünen. In Fußballstadien stehe ich – immer. Ich habe meinen festen Stehplatz in Babelsberg und in Cottbus.

Würden Sie es der Mannschaft verzeihen, wenn sie gegen Argentinien rausfliegt?

Diese Mannschaft hat schon so viel Freude bereitet, wir sollten also nicht gleich in Trauer verfallen, falls es mit der nächsten Runde nicht klappen sollte. Die Art Fußball zu spielen, die die deutsche Mannschaft entwickelt hat, gefällt mir, sie macht einfach Spaß.

Deutschland ertrinkt in Schwarz-Rot-Gold. Ist das nur eine momentane Gefühlsaufwallung oder ein neuer Patriotismus?

Man sollte die Kirche im Dorf lassen. Vieles wird zurückgehen, wenn die WM vorbei ist, wenn wir verlieren sollten. Aber die Gefühlsaufwallungen sind sicher ein Baustein zu einem vernünftigen Selbstbewusstsein der Deutschen, aber eben nur ein Baustein.

Was meinen Sie mit vernünftig?

Ein Selbstbewusstsein, das durchaus reflektiert, das authentisch und nicht übertrieben ist, Geschichte mit einbezieht, aber auch Identifikation mit dem eigenen Land deutlich artikuliert. Da hat die Weltmeisterschaft katalytische Wirkung.

Gibt es nun den neuen Patriotismus?

Ich wäre da vorsichtig. Wir sind unverkrampfter geworden, auf eine schöne Art, ohne uns über andere zu erheben. Wir freuen uns am Spiel, wir sagen Ja zu unserem Land…

…und sind stolz, Deutsche zu sein?

Stolz kann man nur auf Leistungen sein, sagte einmal Johannes Rau. Wir sollten nicht Begriffe strapazieren, die negativ besetzt sind. Es geht darum, sich zu seinem Land zu bekennen, zu Leistungen, Traditionen, ohne die dunklen Kapitel zu vergessen.

Woher rührt der unverkrampfte Umgang, der über Jahrzehnte nicht möglich war?

Es ist sicher eine Generationenfrage. Aber es hat auch mit der Entwicklung in den letzten Jahren zu tun. Gerhard Schröder und Joschka Fischer haben Deutschland außenpolitisch neu aufgestellt. Aber wir sind gerade mit Blick auf unsere Geschichte eben nicht kritiklos in diese Militäreinsätze gegangen. Da hat auch eine Entwicklung in der Seelenlage, im Selbstverständnis der Deutschen stattgefunden. Wir werden unserer Rolle, die wir als starke Wirtschaftsmacht spielen müssen, heute gerechter. Jetzt kam die Fußballweltmeisterschaft dazu.

Ohne Rot-Grün gäbe es die Leichtigkeit nicht?

Rot-Grün hat Deutschland weltoffener, zukunftsfähiger und auch toleranter gemacht.

Ist Patriotismus gerade in Zeiten der Globalisierung für den inneren Zusammenhalt einer Gesellschaft wichtig?

Ich habe noch keine abschließende Antwort darauf. Vielleicht ist es tatsächlich so, dass durch die Globalisierung das Bekenntnis zum eigenen Land einen neuen Ausdruck finden muss, auch um einen Halt zu haben, einen Anker, wenn das Geschehen ringsum unübersichtlicher wird. Globalisierung und demografischer Wandel bringen erhebliche Probleme für unsere Gesellschaft. Da ist es umso wichtiger, dass das Land mit sich im Reinen ist.

Haben Sie keine Sorge, dass man einen Schlussstrich unter die deutsche Vergangenheit, unter die Auseinandersetzung mit unserer Schuld ziehen will?

Die Gefahr gab es immer. Aber wir Deutsche haben eine gewisse Reife erreicht. Vielleicht zahlt sich aus, die Diskussion über unsere Rolle, die Verantwortung aus unserer Geschichte intensiv geführt zu haben. Ich erinnere an das Holocaust-Mahnmal, das nicht unumstritten war. Jetzt erlebt man, dass die Deutschen dieses Denkmal viel besser annehmen als es damals unterstellt wurde. Wir können mit dem neuen Gefühl für unser Land gut leben. Man sollte da keine übermäßigen Ängste haben.

Dennoch gibt es Parolen, die arg nationalistisch klingen: Wir sind die Größten!

Ich habe 1990, als wir in Italien Weltmeister wurden, ähnliche Sprüche gehört. Das war manchmal nicht zum Aushalten. Aber in einem 80-Millionen-Volk wird es immer auch solche Stimmen geben. Entscheidend ist, dass das nicht die Grundstimmung, das Klima bestimmt.

Kann Deutschland von der Nationalmannschaft lernen?

Ja, wir können lernen, dass man nur erfolgreich sein kann, wenn einer für den anderen einsteht, wenn man Schwächen des anderen kompensiert und nicht lamentiert. Deutschland kann lernen, dass man mit schlechter Laune nichts reißt. Und dass man nur in der Offensive, nicht in der Defensive entscheidend vorankommt.

Begreifen wir erst durch „Ausländer“ in der Nationalmannschaft wie David Odonkor, dass Deutschland längst ein Einwanderungsland ist?

Nicht vordergründig, das läuft eher unterschwellig ab. Aber ich kann mich noch gut dran erinnern, wie gewöhnungsbedürftig es für manche war, als Asamoah das erste Mal den Wappen-Adler auf dem Nationaltrikot hatte. Das ist kein Thema mehr. Heute wird nicht mehr über die Herkunft, die Hautfarbe diskutiert, sondern ob einer gut spielen kann. Da hat sich etwas verändert.

Kann die WM, können die Bilder von feiernden Fans aus aller Herren Länder helfen, ausländerfeindliche Ressentiments in Ostdeutschland abzubauen?

Ich wünsche mir das sehr. Ob es tatsächlich dazu führt, kann niemand vorhersagen. Ich nehme zumindest wahr, dass es auf den öffentlichen Plätzen bislang keinen Raum für fremdenfeindliche Parolen gibt.

Wird Deutschland nach der WM ein anderes Land sein?

Ich glaube, das hieße die Fußballweltmeisterschaft zu überfrachten. Veränderungen in der Gefühlslage eines Volkes sind immer langwierige Prozesse. Aber die WM zeigt vielmehr, wie sich Deutschland bereits verändert hat. Heute sind Dinge selbstverständlich, die man sich vor zehn Jahren kaum vorstellen konnte.

In Ost und West ist man sich einig wie selten zuvor. Können solche Großereignisse mehr bewirken als die Politik?

Ich will beides nicht aufrechnen: Aber Sportereignisse im eigenen Land können einen nicht unwesentlichen Beitrag leisten. Das wird in der Seele schon Spuren hinterlassen. Es gibt ein Zusammenrücken von Ost und West.

Was bringt die Fußball-WM für den Osten?

Vielleicht kann der Osten Selbstbewusstsein daraus saugen. Immerhin haben Stars wie Borowski, Schneider, Ballack hier ihr Handwerk gelernt. Heute sind es tragende Säulen der Nationalmannschaft.

Teilen Sie die Einschätzung, dass der heitere Stimmungston der WM in Berlin geprägt worden ist?

Ja, das steht für mich fest: Die Rolle Berlins als deutsche Hauptstadt, auf die man im ganzen Land schaut, hat sich in diesen Wochen manifestiert. Der Imagegewinn, diese emotionale Annäherung des Landes an die Hauptstadt, ist gut für Berlin.

Und für eine mögliche Bewerbung um Olympia 2020?

Ja, Berlin sollte sich um Olympia 2020 bewerben. Ich finde die Idee von Klaus Wowereit absolut folgerichtig. Berlin und die gesamte Region haben bewiesen, dass sie solche Riesenveranstaltung meistern können, dass es reibungslos, freundlich und fröhlich geht. Man sollte sich dieses Ziel setzen. Wir würden da helfen. Olympia in Berlin könnte für die Hauptstadtregion, für Ostdeutschland, ja für das ganze Land positive Wirkungen haben. Allein schon eine Bewerbung setzt neue Energien frei.

Mit Ihrer Liebeserklärung an das „wunderbare Deutschland“ auf dem SPD-Parteitag in Karlsruhe, auf dem Sie im November 2005 zum SPD-Bundesvorsitzenden gewählt wurden, haben Sie viele überrascht. Sind Sie ein deutscher Patriot?

Ja. Ich bin unheimlich froh, in diesem Land zu leben. Ich liebe es und möchte es gegen kein anderes eintauschen. Mich haben damals viele Genossen angesprochen, die froh waren, dass das einmal jemand gesagt hat, was sie selbst so nicht gesagt hätten. Das zeigt, dass wir da durchaus innere Sperren hatten.

Nur wenige Monate nach Ihrem Triumph sind Sie aus gesundheitlichen Gründen als SPD-Vorsitzender zurückgetreten. Macht Sie das manchmal wehmütig?

Nein, ich habe keine Entzugserscheinungen. Ich bin nicht der Typ dafür: Wenn für mich eine Entscheidung gefallen ist, dann ist sie gefallen. Ich bin ein glücklicher Mensch.

Nervt es, wenn Sie gefragt werden, ob Sie wieder gesundheitlich fit sind?

Am Anfang war es anstrengend, diese Frage täglich fünfzig Mal beantworten zu müssen. In den letzten Wochen hat das aber rapide abgenommen. Die Leute sehen mir an, dass es mir Freude macht. Wir kommen ganz gut voran. Wir haben in Brandenburg unsere kleinen Erfolge, und als SPD ganz gute Werte. Das hat zur allgemeinen Beruhigung beigetragen: Er ist wieder da, das Leben geht weiter.

Ist die Bundespolitik für immer passé?

Montags bin ich weiterhin in Berlin und nehme an den Präsidiumssitzungen teil. Ansonsten habe ich meine Aufgabe in Brandenburg und in der brandenburgischen SPD.

Das Gespräch führten Michael Mara, Thorsten Metzner und Gerd Nowakowski

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