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"Kirche ist da, wo es Spaß macht", sagt Jens Jacobi. Der 39-Jährige ist der neue Pfarrer in Wannsee.

© Anett Kirchner

Neuer Pfarrer in Berlin-Wannsee: "Ich kann nicht für dich glauben"

Jens Jacobi ist der neue Pfarrer in Wannsee. In seiner neuen Gemeinde will er zunächst einmal zuhören. Was den 39-Jährigen antreibt und was sein Weltbild neu prägte.

Pfarrer, Politiker oder Mönch. Drei Lebensentwürfe, die für Jens Jacobi durchaus eine Option waren und die er auch ausprobiert hat. Am Ende ist er Pfarrer geworden und mit Beginn des Jahres in der Evangelischen Kirchengemeinde Wannsee zu Hause. Mitten im Wald steht das Pfarrhaus, in dem er und seine Frau jetzt wohnen. Idyllisch, ja, auf den ersten Blick, doch manchmal ein wenig abenteuerlich, wie er inzwischen festgestellt hat. „Einmal abends hörten wir laute Geräusche, gehen hinaus zum Garten und stehen vor einer Wildschwein-Familie, die alles umgräbt.“ Er zieht die Stirn in Falten, lacht dann aber herzlich. Neue Erfahrungen gehören dazu. Er mag das und liebt Herausforderungen.

Bisher war Wannsee für den gebürtigen Neuköllner der Inbegriff eines Familien-Sonntagsausfluges: blaues Wasser, das in der Sonne glitzert, Segelboote, viel Natur und Ruhe. Jetzt bedeutet Wannsee für ihn Arbeit und Heimat. „Ich bin dort Zuhause, wo mein Bett und mein Schreibtisch stehen“, schildert er. Eingewöhnungsphase? Die dauerte nicht lang. Denn die Menschen hier in der Kirchengemeinde hätten es ihm leicht gemacht. Er fühlte sich schnell angenommen.

Am ersten Advent vergangenen Jahres wurde er offiziell im Gottesdienst in die Gemeinde eingeführt. Danach gab es einen Empfang im alten Schulhaus am Stölpchensee. „Ich bin gefühlt den ganzen Abend im Kreis gelaufen und habe Hände geschüttelt“, erinnert er sich. Wannsee sei wie eine Insel. Man kenne sich, grüße sich und sorge füreinander. Viele hätten ihn zu sich nach Hause eingeladen: „So bin ich im Advent von Haustür zu Haustür gezogen.“

"Kirche ist da, wo es Spaß macht"

Was ihn hier tief beeindruckt? Der außergewöhnlich hohe Anteil ehrenamtlicher Helfer. Einer kümmert sich um die Finanzen, ein anderer um Bauvorhaben, wieder ein anderer um Personalangelegenheiten. Auch die Arbeit mit Senioren, Jugendlichen, Kindern und Flüchtlingen werde vor allem von Ehrenamtlichen getragen. „Das liegt daran, dass hier viele Menschen mit bürgerlichem Hintergrund leben“, sagt Jens Jacobi. Ihnen sei bewusst, wie gut es ihnen gehe und dass das nicht selbstverständlich ist. Deshalb wollen sie etwas abgeben; nicht nur Geld, sondern vor allem Zeit.

Eine gute Basis für eine gute Arbeit, findet der 39-Jährige. „Deshalb will ich dabei sein und mitmachen, denn Kirche ist da, wo es Spaß macht.“ Eine Einstellung, die ihm nicht in die Wiege gelegt wurde. Zwar ist er getauft und konfirmiert, aber seine Eltern lebten den Glauben nicht vor.

Wenn er heute zurückschaut, bezeichnet er es deshalb als eine Trotzphase, als er mit 15 Jahren plötzlich Gottesdienste besuchte. „Meine Mutter dachte, dass ein Mädchen dahinter steckt.“ Jetzt lacht er wieder. Jens Jacobi lacht sowieso oft. Er wirkt entspannt, mit sich im Reinen. Das hängt vielleicht auch damit zusammen, dass er schon vergleichsweise früh Antworten auf seine Fragen zum Leben gefunden hat.   

Wie ihm das gelingt? „Ich bete und habe das Gefühl, dass es irgendwo ankommt“, erklärt er. Gott sei keine Erfindung, es gebe ihn wirklich. Diese Erkenntnis und die Freude am Glauben haben ihn seit der Jugend nicht mehr losgelassen. So entschied er sich, Theologie zu studieren, war nebenbei auch politisch aktiv, als CDU-Bezirksverordneter in Neukölln. Als die Frage auftrat, ob er sich als Kandidat für das Berliner Abgeordnetenhaus aufstellen lassen wolle, musste er eine Entscheidung treffen. Politiker oder Pfarrer?

Das Gemeindehaus am Schuchardtweg in Wannsee

© Anett Kirchner

Ein Missionsprojekt in Timbuktu prägte sein Weltbild neu

Er studierte weiter Theologie und beteiligte sich während des Studiums für drei Monate an einem Missions-Projekt in Timbuktu in Afrika. Dort prägte sich sein Weltbild insofern neu, weil er sah, wie dankbar und fröhlich Menschen sein können, die in großer Armut leben. Und wie sehr es ihnen dabei hilft, zu glauben: „Gott hat mich lieb.“ Vermutlich trug diese Erfahrung auch dazu bei, dass sich Jens Jacobi später noch einmal für einen neuen Weg entschied; einen relativ radikalen neuen Weg. Denn er wollte voll und ganz für Gott leben - 100 Prozent, ohne Kompromisse. 

So trat er 2001 in die evangelische Christusbruderschaft Selbitz ein. Sein neues Zuhause damals: das Kloster Petersberg bei Halle in Sachsen-Anhalt. Er lebte dort als Novize und wollte später Mönch werden. Das heißt unter anderem: Verzicht auf Ehe, auf ein Haus und auf sonstige materielle Dinge. „In dieser Zeit habe ich mich unglaublich frei gefühlt“, erinnert er sich. Sein Studium wollte er jedoch beenden, versuchte es nebenbei weiter zu machen. Doch beide Ausbildungen parallel – das Noviziat und das Studium – waren einfach zu viel. Gemeinsam mit den Brüdern der Christusbruderschaft entschied er, das Studium zunächst zu beenden und danach ins Kloster zurückzukehren.

Doch dazu kam es nicht, denn Jens Jacobi verliebte sich in seine heutige Ehefrau. Damit war der Weg bereitet für den Beruf, den er heute ausübt: nämlich Pfarrer. Sein Vikariat machte er im brandenburgischen Pfarrsprengel Päwesin mit 15 Kirchengemeinden und danach arbeitete er als Pfarrer im Entsendungsdienst in Brandenburg an der Havel. Seine erste „richtige“ Pfarrstelle bekam Jens Jacobi in der Melanchthon-Kirchengemeinde in der Wilhelmstadt in Spandau. Dort blieb er sechs Jahre und speziell dort war seine Lust an Herausforderungen gefragt.

Jacobi will zunächst einmal zuhören

„Denn mit klassischer Gemeindearbeit kam ich nicht weit“, sagt er. Wilhelmstadt gelte als sozialer Brennpunkt, wo viele Menschen mit geringem Einkommen leben, allein erziehend oder arbeitslos sind. Es waren mutige Ideen gefragt. Jens Jacobi entwickelte etwa das Projekt „Kirche in der Kneipe“. Mit Erfolg. Im Durchschnitt nutzten 40 Leute das Angebot; vor allem Männer. Bei einem Bierchen in geselliger Runde, auf Barhockern sitzend, wurden brisante Themen diskutiert - etwa Kirche und Geld, Kirche und Krieg, Kirche und Sport. Es war immer ein Experte mit dabei. Und die Einladungen wurden originell auf Bierdeckel geschrieben.

Dass Jens Jacobi neue Ideen entwickeln und anpacken kann, hat er also gezeigt. In seiner neuen Kirchengemeinde in Wannsee will er jedoch zunächst einmal zuhören, anstatt etwas umzudrehen. Denn hier ist die Gemeinde bereits lebendig und es gibt viele gute Aktivitäten. „Ich sehe es als meine Aufgabe, den Menschen, die etwas tun wollen, das zu ermöglichen“, erläutert er. Manchmal schade jedoch ein Blick von außen nicht. Denn wenn eine Gemeinde sehr gut funktioniere, bestehe auch die Gefahr, dass sie irgendwann eine „geschlossene Gesellschaft“ werde.

Und dass er gerade in diesem bedeutenden Jahr des 500. Jubiläums der Reformation Pfarrer in Wannsee ist, motiviert ihn umso mehr. Denn die Reformation sei das Erbe der evangelischen Christen, worauf sie stolz sein können. Für Jens Jacobi heißt das konkret: „Du stehst vor Gott und bist selbst verantwortlich, was das für Dich bedeutet, denn ich kann nicht für Dich glauben.“  

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