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Berlin: „Ich möchte ihnen ein besseres Leben ermöglichen…“

Den in der Charité entdeckten Babys geht es gut. Die Behörden sorgen sich aber um die Mutter, die einen verzweifelten Brief schrieb

Von Sandra Dassler

„Ich möchte gern die zwei Kinder anonym zur Adoption freigeben, da ich ihnen ein besseres Leben ermöglichen möchte wie ich es habe (Gewalt im Alltag). Bitte auch nicht nachzuforschen! Danke“. Das steht nach Tagesspiegel-Informationen in dem Brief, den Mitarbeiter der Charité in Mitte am Freitag im Kinderwagen bei den etwa neun Wochen alten Zwillingsbrüdern fanden. Wie berichtet, waren die Babys im Flur zum Kreißsaal entdeckt worden.

„Den Kindern geht es sehr gut, aber wir machen uns große Sorgen um die Mutter“, sagt der Jugendstadtrat von Mitte, Rainer-Maria Fritsch: „Wir müssen davon ausgehen, dass sich die Frau in einer furchtbaren Notlage befindet“. Noch am Freitagabend, erzählt Fritsch, habe man das Netzwerk Kinderschutz aktiviert. „Jugendamt, Kindernotdienst, Krankenhaus, Polizei wissen Bescheid. Wo immer die Mutter auftaucht, wird ihr geholfen. Sie kann sich anonym beim Kindernotdienst unter Telefon 61 00 61 melden.“

Der Stadtrat geht wie die Polizei davon aus, dass die Mutter der Zwillinge „höchst verantwortlich“ gehandelt hat und ihr die Trennung von den gesunden und gut gepflegten Kindern schwer gefallen sei. Die Frau müsse keine Angst vor Strafe haben, sagte gestern ein Polizeisprecher. Man bewerte ihr Tun nicht als Kindesaussetzung. „Da sie dafür sorgte, dass die Kinder schnell gefunden wurden, behandeln wir den Fall wie die Abgabe in einer Babyklappe.“ Das heißt, es wird nicht gegen die Mutter ermittelt, ja nicht einmal nach ihr gesucht.

Stadtrat Fritsch hofft, dass sich die Frau meldet: „Es gibt viele Möglichkeiten zu helfen. Und sie kann dann immer noch entscheiden, ob sie die Babys zur Adoption freigeben will.“ In der Charité fragten gestern bereits einige nach, ob sie die Brüder adoptieren könnten. Doch die stehen unter der Obhut des Jugendamtes, das am Montag entscheiden wird, ob die Babys in eine Adoptionspflegefamilie kommen.

Dass eine Mutter sich noch nach neun Wochen von ihren Kindern trennt, sei selten, sagt der Chefarzt der Kinderklinik in Neukölln, Rainer Rossi. Meist geschehe das unmittelbar nach der Geburt, wenn noch wenig emotionale Bindung bestehe. Rossi begrüßt, dass die Polizei das Vorgehen der Mutter nicht als Kindesaussetzung bewertet, die mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft werden kann.

Im Neuköllner Klinikum gibt es seit einigen Jahren eine Babyklappe, in der auch schon ein bis zwei Dutzend Kinder abgegeben wurden. Genaue Zahlen darf Rossi nicht nennen, weil der rechtliche Status von Babyklappen ebenso wie der von anonymen Geburten in Deutschland nach wie vor nicht geklärt ist. Angesichts der wachsenden sozialen Not und der fast täglichen Meldungen über Kindstötungen ist das ein gesellschaftlicher Skandal, findet eine Schwester im Zehlendorfer Krankenhaus „Waldfriede“. Dort gibt es seit Jahren beides: Babyklappe und anonyme Geburten, vor allem aber Betreuung der betroffenen Frauen. „Es gibt viele Gründe, warum Mütter sich meist schweren Herzens von ihren Kindern trennen“, sagt die Schwester: „Das reicht von der vom eigenen Vater Vergewaltigten bis zur Aidskranken, die weiß, dass sie nicht mehr lange leben wird, ihr Kind aber gesund ist. Eigentlich müsste es in jeder Klinik eine Babyklappe geben.“ Sandra Dassler

Hilfe und Beratung gibt es – auch anonym – unter Tel. 61 00 61 oder 8181 0335

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