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Berlin: „Ich sah Plakate mit dem Aufruf zum Heiligen Krieg“

Joachim Zeller, als Bürgermeister für Mitte, Wedding und Tiergarten zuständig, über Integration und den Amtskollegen Buschkowsky

Herr Zeller, Sie leben in Mitte, einem Stadtteil mit geringen Integrationsproblemen. Wie nah sind Ihnen Wedding und Moabit, die ja auch zu Ihrem Bezirk gehören?

Sehr nah. Mein Arbeitsplatz ist in Moabit. Dort sehe ich die Probleme täglich.

Nach den Anschlägen von Holland wird in Deutschland offener über Integrationsprobleme diskutiert. Jetzt wurde in Neukölln und Moabit möglicherweise der Anschlag einer islamistischen Gruppe verhindert. Dramatischer Einzelfall oder Ausdruck eines gesellschaftlichen Problems?

Dieser Vorfall überrascht mich nicht. Als ich im vergangenen Jahr in meinem Bezirk einige Moscheen besucht habe, sah ich im Umfeld an den Häuserwänden Plakate in Türkisch und Arabisch. Ein Wort konnte ich entziffern: Dschihad. Übersetzer sagten, das waren Aufrufe zum Heiligen Krieg in Palästina! Jugendliche, die sich ausgegrenzt fühlen, sind für solche Aufrufe empfänglich. So gesehen war der jetzt vereitelte Anschlag nur die Spitze eines Eisberges. Hier muss es eine stärkere staatliche Kontrolle geben. In Österreich zum Beispiel wird der islamische Religionsunterricht nur auf Deutsch gegeben. Das müssen wir auch hier hinbekommen.

Ihr Neuköllner Amtskollege Heinz Buschkowsky hat die Debatte mit seiner Beschreibung der teilweise gescheiterten Integration in Neukölln vorangetrieben. Wie sieht die Lage bei Ihnen im Bezirk aus?

Ähnlich. Auch in meinem Bezirk haben wir Gebiete, wo der Staat nur noch marginalen Zugang hat. Wenn mir Polizisten berichten, dass sie in bestimmten Teilen bei gewalttätigen Auseinandersetzungen keinen Einfluss mehr haben, dann ist der Staat dabei zu kapitulieren. Dem müssen wir uns entgegenstellen, wenn wir nicht dauerhaft Ghettos zulassen wollen. Aber es gibt auch hoffnungsvolle Zeichen.

Zum Beispiel?

Wir haben im viel geschmähten Soldiner Kiez in der Soldiner und Koloniestraße einen sehr rührigen Bürgerverein. Die Kirchengemeinden beginnen sich zu vernetzen. Und es gibt unter den Moscheevereinen einige, die durchaus für den Dialog zugänglich sind. Diesen Menschen müssen wir Mut machen und ihnen zeigen, dass sie von der Politik nicht alleine gelassen werden – anders, als viele glauben.

Wie kann man Menschen gemeinsame Werte vermitteln, die zum Teil nicht mal unsere Sprache sprechen?

Verstärkter Deutschunterricht ist zentral. Also müssen wir trotz knapper Ressourcen noch mehr Geld in diese Richtung umverteilen. Zusätzlich müssen wir schauen, wie in die Gebiete wieder neue Menschen kommen, die einen anderen Blick auf die Dinge mitbringen.

Wie kann das in Stadtvierteln gelingen, aus denen wegzieht, wer es sich leisten kann?

Ich habe schon früher angeregt, dass der in so genannten Problemkiezen leer stehende Wohnraum billig Studenten angeboten wird. Die finden multi-ethnisches Leben durchaus interessant. Die Degewo hat damit begonnen und freut sich, wie stark der Zuspruch der Studenten ist. Das ist ein Hoffnungszeichen.

Heinz Buschkowsky fordert eine stärkere Umverteilung zwischen den Bezirken. Gibt es da noch Potenzial?

Kaum. Ich glaube, die Bezirke sind finanziell am Schlusspunkt angelangt.

Was lässt sich ohne Geld tun?

Einiges. Wir müssen zum Beispiel unsere Schulen öffnen. Die sind in manchen Gebieten die einzigen Orte, wo der Staat noch Präsenz zeigt. Also müssen sie Freizeit- und Begegnungsstätten werden. Dafür gibt es positive Beispiele, die oft vom Engagement der Schulleiter abhängen.

Zum Beispiel?

Die Erika-Mann-Schule bietet unter anderem nachmittags Projekte an, bei denen Kinder mit Künstlern arbeiten. Die Kinder kommen aus bildungsfernen Schichten und haben zu Themen wie Selbstfindung und Außendarstellung durch Kunst keinen Zugang. Man merkt: Sie sind begeistert und stolz auf ihre Werke.

Um die junge Generation zu erreichen, müssten auch die Kindertagesstätten gestärkt werden, sagt Herr Buschkowsky.

Das Problem aus meiner Sicht ist: Wenn die Mütter nicht berufstätig sind, dann dürfen die Kinder nur eine begrenzte Stundenzahl in die Kitas und lernen natürlich viel weniger. Da muss die entsprechende Verordnung geändert werden.

Lässt sich durch derartige Maßnahmen verhindern, dass die Situation bei uns so eskaliert wie in den Niederlanden?

Das ist mit uns nicht vergleichbar.

Herr Buschkowsky sieht das anders.

In Holland wird die Konfrontation schon lange viel schärfer ausgetragen. Bei uns wären Äußerungen wie die des Regisseurs van Gogh, der ermordet wurde, nicht akzeptabel, und eine entsprechende Reaktion nicht wahrscheinlich.

Aber braut sich nicht auch hier eine vergleichbare Situation zusammen?

Ja, die Gefahr besteht. Deswegen müssen wir auch die Sorgen der Deutschen ernst nehmen. Viele Multikulti-Ideologen wohnen nicht in sozialen Problemgebieten, maßen sich aber Urteile über die Befindlichkeit beispielsweise der Bewohner des Wedding an, die meistens daneben sind.

Wie hilfreich ist die Leitkulturdebatte, die die CDU auf ihrem Parteitag führen will?

Sehr. Auch wir in Deutschland sind da noch zu keinem Selbstverständnis gekommen. Wir leiden weiter unter der Teilung und haben uns als Nation noch nicht gefunden. Das erschwert es Menschen aus anderen Ländern, sich mit uns auseinander zu setzen oder zu identifizieren.

Das Gespräch führte Lars von Törne

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