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Berlin: Im Alltag angekommen

Die pommesfreie Zone um das Holocaust-Mahnmal

Von Henryk M. Broder Das Erste, was die Besucher des „Stammlagers“ in Auschwitz sehen, ist eine Cafeteria direkt neben dem Parkplatz für die Touristenbusse. Das Menu ist reichhaltig, es enthält Snacks, Suppen, Hauptgerichte, Nachtische, Kuchen und Kompotte. Am Ende der Speisekarte steht ein Satz, den nur die Besucher lesen können, die des Polnischen mächtig sind: „Wenn Sie mit der Qualität eines unserer Gerichte nicht zufrieden sind, sagen Sie uns bitte Bescheid. Wir geben Ihnen ein anderes Essen – ohne Aufpreis.“

Was immer man von der Art, wie Geschichte im „Muzeum Auschwitz“ präsentiert wird, halten mag, eines steht fest: Der Service ist viel besser geworden. In Berlin dagegen, einer Stadt, die auf ihre Esskultur stolz ist, weil sie so überschaubar ist, tobt derweil ein Streit, ob man eine ImbissBude in unmittelbarer Nähe des Holocaust-Mahnmals dulden darf. Nun will man sogar eine Art „Bannmeile“ um das Mahnmal herum einrichten, die Frage ist nur, wie weit die pommesfreie Zone gehen soll. Bis zum Reichstag? Bis zur Siegessäule? Bis zum KaDeWe? Bis zur Stadtgrenze?

Die Absurdität, die die Entstehungsgeschichte des Mahnmals von Anfang an begleitet hatte, setzt sich konsequent fort. Einerseits wollte man keine sakrale Gedenkstätte haben, Bundeskanzler Gerhard Schröder, stellte sich einen Ort vor, „wo man gerne hingeht“, der Architekt, Peter Eisenman, wünschte sich Schmierereien an den Stelen, ein Verein klagte vor dem Verwaltungsgericht, weil die Abstände zwischen den Stelen für Rollstuhlfahrer nicht breit genug sind. So wurde das Mahnmal, noch ehe es da war, in den Alltag eingebettet.

Doch jetzt, da die Besucher in Massen herbeiströmen, da das Mahnmal das geworden ist, was es werden sollte, eine Touristenattraktion wie die Reichstagskuppel und das Jüdische Museum, will man es mit einer Aura überdachen, die nicht geplant war und nicht machbar ist. Erstens gilt für die Gegend um das Mahnmal dasselbe Berliner Grundgesetz, das jeder Spaziergänger im Grunewald erleben kann: fünf Berliner, drei Hunde, eine Imbissbude. Zweitens: Wo Menschen zusammenkommen, muss es Service geben. Gewinnt der Besuch des Mahnmals an emotionaler Intensität, wenn man den Leuten nichts zu trinken und nichts zu essen anbietet? Wenn es so wäre, müsste man sie auch auffordern, die Luft anzuhalten, bis sie blau anlaufen und in Ohnmacht fallen – aus Solidarität mit den Opfern der Nazis. Und schließlich müsste man auch die sanitären Anlagen schließen, denn sie dienen demselben menschlichen Bedürfnis wie eine Imbiss-Bude, nur eben am Ende der Verwertungskette.

Allein solche Nebensächlichkeiten zeigen, wie lächerlich die Aufregung um die Imbiss-Bude am Mahnmal ist. Das Mahnmal ist kein Ort, an dem Christen die Kopfbedeckungen abnehmen, die Juden eine Kippa aufsetzen und die Moslems die Schuhe ausziehen. Es ist das, was es ist, eine begehbare Plastik, die man den Besuchern erklären muss. Die Größe des Objekts, die Anzahl der Stelen, das Layout der Anlage haben nichts mit ihrem Gegenstand, dem Holocaust, zu tun. Es könnten genau so gut 3333 Holzklötzchen in Pyramidenform sein. Deswegen hat man einen Ort der Information eingerichtet. Und weil es eben – im Gegensatz zur Wannseevilla oder dem Bahnhof Grunewald – kein historischer Ort ist, fühlen die Besucher nichts, kann man ihnen keine Gefühle, keine „Betroffenheit“ einreden. Dagegen ist der Wunsch nach einer Curry-Wurst oder einer Cola vollkommen echt . Ihn mit einem Tabu zu belegen, hieße, den Besuchern die einzige authentische Erfahrung nehmen zu wollen, die sie an diesem Ort machen können.

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