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Berlin: Im Dunkeln ist gut essen

In der „Unsicht-Bar“ sieht man nichts – und schmeckt viel

Von Malte Meinhardt

Fader Pappgeschmack, undefinierbare Konsistenz – das sollen Knödel sein? Naja, aber das Auge isst mit, und wo Knödel draufsteht, müssen wohl Knödel drin sein. Während sich der gewöhnliche Restaurantbesucher bei einem solchen Geschmacks-Fiasko mit der hübschen Ess- Deko über den schlechten Geschmack hinwegtröstet, will die „Unsicht-Bar“ in Mitte, die am Sonnabend öffnet, das Geschmackserlebnis in den Vordergrund stellen.

In der Unsicht-Bar bleiben die Speisen tatsächlich unsichtbar. Im völlig abgedunkelten Raum wird der Gast an den Tisch geführt. Schulter des Vordermanns fassen, und los geht es im unsicheren Trippelschritt. Bitte nehmen Sie Platz. Aber wo ist der Stuhl? Aha, es riecht nach Holz, stabil, edel, glatt. Das Besteck ist kühl und schwer. Die Kartoffelschnitte mit Gemüsebegleitung nähert sich von hinten rechts – ist da nicht plötzlich auch ein Hauch Erbse? Und seit wann sind Kartoffeln eigentlich so cremig?

Essen im Dunkeln: eine ungewohnte Erfahrung. Die Idee dafür ist aber nicht neu. Im Kreuzberger „Abendmahl“ zum Beispiel gibt es regelmäßig Essen im Finstern. Für Manfred Scharbach, einen der zwei Betreiber, ist jedoch besonders wichtig, dass das Restaurant auf Initiative der Blinden-Selbsthilfe entstanden ist. Scharbach, der Nicht-Sehende, der sich selbst als „neugierigen Esser“ bezeichnet, ist zugleich Geschäftsführer des Allgemeinen Blinden- und Sehbehindertenvereins Berlin. In der Unsicht-Bar haben 22 Sehbehinderte einen Job gefunden. Einer von ihnen ist der 33-jährige Roland Zimmermann. Der Politik-Doktorand ist einer der Kellner, die die Gäste an ihre Plätze geleiten und ihnen über die erste Unsicherheit mit ruhiger Stimme hinweghelfen. Beim Essen fällt schon mal ein Messer herunter. Aus schnellen Bewegungen werden tastende. Aber das macht nichts. Denn wer hat vorher schon mal gespürt, ob eine Erbse glatt oder rau, bitter oder nussig ist?

Ab Oktober wird das Sinneserlebnis dann noch mit der „Dunkelbühne“ erweitert. Hier kann man dann in Finsternis Lesungen, Konzerten oder Hör-Filmen lauschen. Ein geschmackvolles Programm wird es sicher.

Unsicht-Bar, Gormannstraße 14, Mitte, Tel. 24342500, www.unsicht-bar-berlin.de . Di. bis So. ab 18 Uhr, Einlass bis 21.30 Uhr. Abendmahl, Muskauer Straße 9, Kreuzberg, Tel. 6125170, www.abendmahl-berlin.de . Um Anmeldung wird gebeten.

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