zum Hauptinhalt

Berlin: Im Finstern die Welt der Blinden begreifen: Ein Parcours für Sehende im Steglitzer U-Bahnhof

Es ist stockdunkel. Im Bauch schlummert Panik.

Es ist stockdunkel. Im Bauch schlummert Panik. Die rechte Hand ertastet ein Geländer, eine Säule, einen Fahrkartenautomaten, eine U-Bahn-Tür. Irgendwo weiter vorn sind Stimmen zu hören, ein Zug fährt ein. "Zurückbleiben", sagt die Stimme aus dem Lautsprecher. Der Zuhörer bleibt tatsächlich zurück, er kann nicht anders: Er ist in dem perfekten Dunkel fast vollständig seiner Orientierung beraubt.

Im Zwischengeschoss des U-Bahnhofs Rathaus Steglitz hat der Kölner Künstler Axel Rudolph auf 450 Quadratmetern Fläche einen Parcours errichtet, den er "Dialog im Dunkeln" nennt. In Zusammenarbeit mit den Verkehrsbetrieben und dem Allgemeinen Blinden- und Sehbehindertenverein (ABSV) hat Rudolph gemeinsam mit sechs Helfern zwei Wochen lang an einem 40 Meter langen Gang gebaut, in dem selbst Menschen mit guter Sehkraft nicht einmal die eigene Hand vor Augen sehen. Wer hinter die Lichtschleuse tritt, gelangt quasi in eine andere Welt: die der Blinden. Um das Ganze zu Wege zu bringen, hat Axel Rudolph raumhohe Spanplatten aufgestellt, sie mit schwerem, schwarzen Stoff verkleidet und alles dicht abgedeckt. "Ich lasse mir schon seit zehn Jahren von blinden Menschen erzählen, wie es ist, in einen Bahnhof oder zum Einkaufen zu gehen", sagt Axel Rudolph. "Dialog im Dunkeln" sei der Versuch, den Sehenden zu vermitteln, wie hilflos man sich fühlt, wenn man plötzlich nichts mehr sehen kann. Zu den üblichen Reaktionen zählen nach Rudolphs Worten Unsicherheit und Ärger, Angst und aufgedrehtes, lautes Sprechen. "Es ist aber keine Geisterbahn, niemand kriegt ein nassen Lappen ins Gesicht", versichert der Akustikdesigner. Damit im Dunkeln niemand verloren geht, sind drei Begleieter unterwegs, die mit den Besuchern reden und ihnen bei der Orientierung behilflich sind.

Für die Dauer des Aufenthalts in der Dunkelausstellung fühlt sich der Besucher tatsächlich wie erblindet. Doch es gibt einen Unterschied: Der Besucher muss nur eine kurze Zeit hindurch ohne sein Augenlicht zurechtkommen, der Blinde immer. Der Arzt Detlef Friedebold schilderte gestern, wie Blindheit das Leben vollkommen verändert. Der 52-Jährige ehemalige Orthopäde verlor mit 30 Jahren in Folge einer Verkümmerung des Sehnervs sein Augenlicht. Wie fühlt man sich als Blinder im Gewühl eines Bahnhofs? "Das ist ein hässliches Gefühl, wenn du an der Bahnsteigkante denkst, direkt neben mir geht es steil runter", sagte Detlef Friedebold. In Berlin leben 5000 blinde Mneschen und 17 000 Sehbehinderte.Die Ausstellung ist bis zum 17. Oktober täglich von 9 bis 20 Uhr geöffnet.

brun

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false