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Berlin: Im Keller des Grauens

Tim Schneider lebt allein in einem Mietshaus in Neukölln. Seine Angst vertreibt er sich mit Gruselkunst

Gruselig, so ganz allein in einem großen, leeren, alten Mietshaus. Da lauert die Angst hinter jeder Tür. Besonders gerne versteckt sie sich im Keller. Tim Schneider sagt, wenn man der Angst auf den Grund geht, merkt man schnell, dass die Angst eigentlich nur vor sich selber Angst hat. Und schon ist sie weg. Das ist aber jetzt zu viel Theorie für einen Handlungsmenschen wie Curry Blue. So heißt Tim Schneider als Künstler. Es waren da eben diese Kulturtage „48 Stunden Neukölln“, und Tim Schneider war gerade am Kellerausmisten, da kam ihm eben die Idee – „hey, hier bau ich ein Gruselkabinett“. So fing das an. So mit „hey“ fängt das eigentlich immer an bei Tim. „Es geht einfach so durch mich hindurch. Ich bin nur ein Werkzeug.“ Das klingt sehr altmodisch. Fast antik. Tim mag antike Sachen, weil sie so viele Geschichten erzählen können, wenn man sie zum Sprechen bringt.

Tim Schneider ist 23, ein schmächtiges Kerlchen mit dichtem Braunhaar. Wegen Rückenproblemen hat er mal eine Malerlehre abgebrochen. Jetzt spielt er Theater, steppt auf dem Ku’damm, verkauft Bilder und bastelt in seinem Haus herum, das ihm gar nicht gehört. Das Haus Mainzer Straße 5 in Neukölln soll verkauft werden, aber das dauert. Vielen zu lange, weil nichts mehr repariert wurde. Einer nach dem anderen zog aus. Tim ist geblieben, wegen der vielen Geschichten, die in den Wänden stecken. Und weil ihn Etagenklos mit Holzmustertapete und bollernde Kachelöfen inspirieren. Seit einem Jahr lebt er allein im Haus, und – hey! – es ist einfach toll, „man kann hier s e i n, vom Himmel bis zur Erde“. Tim Schneider breitet die Arme aus, tanzt im Kreis und freut sich über seine ungeteilte Hausherrschaft.

Also runter in den Gruselkeller. Fängt ganz authentisch an. „Schutzraum für 55 Personen.“ Hinter einem schmalen Durchlass beginnt der Horror, unterlegt mit dunklen Trommelrhythmen oder Maschinensound. Bretterwände, mit blutigen Schlieren verekelt, im Klebstoff versinkende Schädel, verkohlte Kriechwesen aus Pappe, Gesichter, die aus der Wand wachsen, Insekten mit Menschenkopf. Provozierend ist die Zurschaustellung eines echten Lammschädels mit Fleischresten und Hackebeil.

Schneiders private Schaudergruft ist kein familiengerechtes Spaßunternehmen wie der Gruselbunker am Anhalter Bahnhof. Der Keller riecht faulig. Schmutz und Staub sind echt. Das Durchkommen in den verzweigten Verschlägen ist nur mit Tasten, Bücken und Zwängen möglich. Schneiders Gäste sollen sich an seinem Keller stoßen und reiben, ihre Sinne auffrischen, die Instinkte beleben und ihren Kunstgeschmack überprüfen. Unterwegs erwartet den Besucher auch eine klassische Erschrecknummer, die in dieser dunkel-beengten Umgebung erstaunlich gut funktioniert. Mehr wird hier nicht verraten.

Belebt und zugleich benommen klettert man wieder die steile Stiege hinauf. 150 Kellerbesucher zählte Tim Schneider beim 48- Stunden-Neukölln-Kulturfest. Die einen grinsten, waren angeregt, einige schimpften wegen der Fleischeinlage, die Jüngeren, so um die 20 herum, waren nachher genauso gelangweilt wie vorher. Jedenfalls hatten sie nach dem vielen Gruseln Durst, und so war es ganz gut, dass Tim in der Ladenwohnung im Erdgeschoss eine nekrophile Bar eingerichtet hat.

Wie das jetzt weitergeht mit dem Gruselkeller und der Gruselbar kann Tim Schneider nicht sagen. Hängt davon ab, wann das Haus verkauft wird. Erstmal hat die Subkultur hier das Sagen. Für die möchte er kämpfen, weil nur aus ihr die Hochkultur wachsen kann.

Der Gruselkeller ist wieder am 5. und 6. Juli geöffnet, von 19 bis 24 Uhr.

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