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Berlin: Im Neuköllner "Atalante" wird zwischen den Gängen ausgewählte Lesestoff serviert

Jedesmal ist sie unsicher. "Man weiß nie, ob der Funke überspringt", sagt Birgit Claus.

Jedesmal ist sie unsicher. "Man weiß nie, ob der Funke überspringt", sagt Birgit Claus. Dabei geht es doch nur um das, was wir alle für unser Leben gerne tun: essen. Aber zwischen den Gängen lehnen sich die Gäste zurück. Dann berichtet sie: wer isst wie, was, wann, wo, mit wem und warum? Denn Birgit Claus erzählt die Kulturgeschichte des Essens anhand von ausgewählter Literatur.

Nur einmal hatte sie gelernte Krankenschwester ihr Publikum nicht begeistern können. Es war der Abend mit dem Apfel, dem Sündenfall und der Frucht vom Baum der Erkenntnis. Sie wählte John Irvings "Gottes Werk und Teufels Beitrag" und reicherte den Text mit Wissenswertem über den Apfel an. Einige Gäste fanden es eine Zumutung, Passagen über Abtreibung zum Essen serviert zu bekommen. Inzwischen rät sie deshalb ab, wenn sich jemand John Irving zum 85. Geburtstag seiner Mutter wünscht. Doch meist ruft ihre Literatur zum Essen Stürme der Begeisterung hervor. Ihr Gästebuch spricht Bände, eingefleischten Fans lassen sich fast keinen Erlebnisabend entgehen. Denn "Eßkultur" - so nennt die 36-Jährige ihr Konzept - bietet für fast jeden Geschmack etwas. Meist hält das "Atalante" als Kulisse her.

Inzwischen gibt es bei Esskultur 18 verschiedene Lesungen: darunter so Liebenswertes wie das Frühstücksbuffet mit Winnie dem Puh und allem, was dem Bären schmeckt oder rosiges Essen mit dem kleinen Prinzen aber auch ein Gastmahl bei Odysseus oder Casanova à la carte - eine kulinarische Biographie mit Arien aus dem 18. Jahrhundert.

Am Sonntag besteigen Birgit Claus, Ruth Bombosch, Paul Sonderegger und ihre Gäste den Mount Everest. Die passende Literatur ist der neu aufgelegte Expeditionsbericht von 1924. Ruth Bombosch hat das Nachwort geschrieben und ist mit den Hintergründen der tragischen Bergsteigergeschichte, bei der Mallory und Irvine nicht zurückgekehrt sind, bestens vertraut. Sie wird die Gäste über die verschiedenen Todestheorien aufklären und auch einen Blick auf deren Ausrüstung werfen. "Die sind damals mit Flanellhemden aufgestiegen - das treibt heute jedem Bergsteiger die Tränen in die Augen." Hörspiel-Sprecher Paul Sonderegger wird das Abenteuer als Hörerlebnis inszenieren.

Natürlich ist auch für die Verpflegung der Gäste beim Aufstieg gesorgt. Das Thema gibt allerdings eine besondere Ästhetik vor: Suppe wird dieses Mal aus Thermoskannen serviert, das Glas Sekt gegen die Höhenangst ist für die Gäste im Preis inbegriffen. Zu allererst werden die Leute aber für einen Geschmackstest aufs Dach geführt. Denn eine alte Bergsteigerweisheit sagt: Ab 5800 Meter lassen sich Pfefferminzplätzchen nicht mehr von Zwiebeln unterscheiden. Und das wollen die Gastgeber im Vorfeld nun wirklich ausschließen.Atalante, Richardstraße 112, Neukölln, Telefon 681 84 97 oder 68 08 93 44.

Julia Rehder

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