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Berlin: Im schlimmsten Fall hilft nur die Flucht aus Berlin Nach der Bluttat von Neukölln diskutieren Experten: Wie können sich bedrohte Frauen besser schützen?

Jahrelang Angst vor Schlägen und Bedrohungen, kaum ein Tag ohne handfesten Streit: Die am vergangenen Freitag in Neukölln von ihrem Ehemann erschossene sechsfache Mutter Lorette S. hatte vor der Bluttat bereits ein Martyrium hinter sich.

Jahrelang Angst vor Schlägen und Bedrohungen, kaum ein Tag ohne handfesten Streit: Die am vergangenen Freitag in Neukölln von ihrem Ehemann erschossene sechsfache Mutter Lorette S. hatte vor der Bluttat bereits ein Martyrium hinter sich. Michael S. war es zwar gerichtlich untersagt, näher als 50 Meter an seine Frau heranzukommen, aber dieses so genannte „Annäherungsverbot“ auf der Grundlage des seit drei Jahren gültigen Gewaltschutzgesetzes nützte nichts. Denn der Vater war zu allem entschlossen und ließ sich von dem Gerichtsbeschluss ebenso wenig abschrecken wie ein 28-jähriger Türke, der im vergangenen Oktober seine Frau vor den Augen der kleinen Tochter in Prenzlauer Berg niederstach.

Angesichts der jüngsten Tragödien fragten sich gestern erneut Polizei- und Sozialexperten, wie sie bedrohte Frauen effektiver schützen können. Polizeidirektor Winfried Roll, zuständig für Gewaltprävention, will sich nach der Neuköllner Bluttat dafür einsetzen, „dass Frauen vor und nach Gerichts- und Amtsterminen, während denen sie mit ihrem Mann zusammentreffen, von Polizisten geschützt werden“. Denn Termine, bei denen es beispielsweise ums Sorgerecht geht, „sind besonders emotionsgeladen“, so Roll.

Wie berichtet, schoss der gewalttätige Ehemann nur wenige Minuten nach einer derartigen Verhandlung im Jugendamt, als Lorette S. gerade auf der Dieselstraße den Heimweg antrat. Dabei tötete er auch einen 33-jährigen Bekannten der von ihm getrennt lebenden Frau. Sie hatte diesen gemeinsam mit ihrem neuen Freund als Begleitschutz mitgenommen.

„Wenn ein Täter durchdreht, nützt das neue Gewaltschutzgesetz wenig“, sagt Irma Leiste von der „Berliner Interventionszentrale gegen häusliche Gewalt“ (BIG) mit der Telefon-Hotline 6110300 – der ersten Anlaufstelle für bedrohte Frauen. Dennoch hält sie ein Annäherungsverbot für sinnvoll, „zumal es erfahrungsgemäß die meisten Männer“ beachteten. Immerhin droht ihnen andernfalls eine einjährige Haftstrafe. Unterstützend sollten Polizeistreifen öfter bei den potenziellen Tätern vorfahren und ihnen klarmachen, dass sie unter Beobachtung stehen. Ein Wunsch, für den sich Polizeidirektor Roll gleichfalls einsetzen will.

„Gewinnen wir allerdings den Eindruck, dass einem Mann alles egal ist, so hilft nur ein beschützendes Frauenhaus“, sagt Irma Leiste. In den sechs Berliner Frauenhäusern mit 1300 meist ausgebuchten Plätzen, deren Adressen geheim gehalten werden, können die Frauen samt Kindern einige Monate unterkommen. Es gibt Sicherheitsschleusen und Videokameras. Doch draußen bleibt die Angst, weshalb die BIG-Berater im Extremfall empfehlen, in ein auswärtiges Frauenhaus zu ziehen und in der neuen Heimat unterzutauchen. Dann dürfen die Behörden die neue Adresse nicht herausgeben.

Gibt es aber gemeinsame Kinder, kann der Peiniger diese Flucht verhindern. Irma Leiste: „Die Gerichte sprechen sogar manchen gewalttätigen Männern das Recht zu, ihre Kinder sehen zu dürfen.“

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