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Berlin: „Im Westen halbiert, im Osten atomisiert“

Die Berliner Metall- und Elektroindustrie hat einen enormen Arbeitsplatzabbau und eine völlige Umstrukturierung hinter sich gebracht

Von Sigrid Kneist

Auf Firmen wie „Hugo Rossmann Apparatebau“ schaut Wirtschaftssenator Harald Wolf bestimmt gern. Das Reinickendorfer mittelständische Unternehmen hat seinen Wege gefunden und sich dem Markt entsprechend von einem reinen Handwerks- zu einem Industriebetrieb gewandelt. 100 Jahre ist das Unternehmen, das aus einer Ende des 18. Jahrhunderts gegründeten Kupferschmiede hervorging, im Besitz der Familie Rossman. Horst Rossmann leitet das Unternehmen, das in der Zulieferproduktion für die Kälte- und die Bahnindustrie seine Schwerpunkte hat, in der dritten Generation. Im Oktober wird Jubiläum gefeiert.

Inzwischen zählt der Betrieb wieder rund 100 Mitarbeiter. Denn die für die Berliner Metall- und Elektroindustrie turbulenten 90er Jahre waren für das Traditionsunternehmen eine Herausforderung, wie Firmenchef Rossmann sagt. Von der Treuhand übernommene Firmen machten mit Dumpingpreisen Konkurrenz, die Rossmann an den Rand des Ruins brachten. Von den mittelständischen Unternehmen mit ähnlicher Ausrichtung hat kaum einer das Jahrzehnt überlebt.

Für die Metall- und Elektroindustrie in Berlin bedeuten die Jahre nach der Wende einen enormen Einschnitt und einen Niedergang. In West und Ost brachen damals die Unternehmen und damit die Arbeitsplätze gleichermaßen weg. Von den 1991 insgesamt 169 000 Arbeitsplätzen (101 000 West, 68 000 Ost) sind zehn Jahre später nur noch 62 000 Jobs (52 000 West und 10 000 Ost) erhalten geblieben. Im Prinzip waren aus unterschiedlichen Gründen in beiden Stadthälften große Teile der industriellen Produktion ohne Sonderstatus und unter realen Bedingungen nicht überlebensfähig.

Die Entwicklung im Westteil war vor allem auf den schnellen Wegfall der Berlin-Subventionen zurückzuführen. Das Modell der „verlängerten Werkbank“ in Berlin, das viele Konzerne auf Grund der Förderung zu Mauerzeiten praktizierten, hatte ausgedient. Zu Tausenden wurden Arbeitsplätze abgebaut, die sich ohne Subventionen nicht rechneten. Ohnehin waren hier nicht die qualifiziertesten Arbeitsplätze zu finden. Auch auf der Manager-Ebene waren nicht die Top-Leute zu finden, meint zumindest Arno Hager, Chef der Berliner IG Metall. „Hierhin kamen junge Leute, um sich auszuprobieren. Wer es gut machte, war nach zwei Jahren wieder weg. Wer nicht, der blieb.“

Den Ost-Betrieben hingegen war mit der Einführung der D-Mark der Absatzmarkt im Osten weggebrochen, und im Westen waren die Produkte einfach nicht konkurrenzfähig. „Im Westen wurden die Arbeitsplätze halbiert, im Osten atomisiert“, sagt Hager zu dieser Entwicklung in den Neunzigern. Die volkseigenenen Betriebe wie Narva, das Werk für Fernsehelektronik, das Kabelwerk Oberspree oder Elektrokohle mit jeweils mehreren tausend Arbeitsplätzen verschwanden schlichtweg von der Bildfläche. Allein im Juni 1991 wurden am seinerzeit größten Ost-Berliner Industriestandort Oberschöneweide 6000 Kündigungen nur in der Metall- und Elektrobranche ausgesprochen, und in der Folgezeit ging es zügig damit weiter. An nennenswerten Übernahmen der Ost-Berliner Traditionsunternehmen durch andere Konzerne fällt dem Sprecher der Wirtschaftsverwaltung, Christoph Lang, nur das ehemalige Werk für Fernsehelektronik ein, wo jetzt seit 10 Jahren der südkoreanische Konzern Samsung produziert und sich sogar mit dem Gedanken trägt, den Standort weiter auszubauen. Allerdings sind die Beschäftigtenzahlen nicht mit den früheren zu vergleichen. Verdiensten einst im Werk für Fernsehelektronik knapp 9000 Menschen ihr Geld, sind es jetzt bei Samsung nur noch 1000. Trotzdem zählt der Konzern in Berlin zu den größeren Arbeitgebern der Branche.

Ohnehin fehlt es nach Auffassung der Wirtschaftsverwaltung und des Arbeitgeberverbandes in Berlin an den großen Industriearbeitgebern, die das geeignete Umfeld für den Mittelstand schaffen. Nur ein Unternehmen der Branche zählt mehr als 10 000 Mitarbeiter: Siemens. Auch dieses Unternehmen hat in den 90er Jahre einen Umstrukturierungs- und Rationalisierungsprozess durchlaufen. Bei Siemens arbeiten derzeit knapp 17 000 Menschen. Aber durch seine Produktion schafft Siemens weitere 10 000 Jobs in der Zulieferindustrie in der Region. Großunternehmen sind also weiter wichtig für den Wirtschaftsstandort.

Der Verband der Metall- und Elektroindustrie (VME) prognostizierte zu Jahresbeginn, dass dieses Jahr 2500 weitere Jobs in der Branche verloren gehen. Dies liege aber nicht mehr an strukturellen Gründe wie im vergangenen Jahrzehnt, sondern an der aktuellen Rezession. Dazu gehört auch eine Hiobs-Botschaft wie vom Spandauer Siemens-Bosch Hausgerätewerk, das bis 2006 700 Stellen in Berlin streichen will. Noch ist der Arbeitsplatzabbau in der Berliner Metallbranche nicht zuende.

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