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Berlin: Immer diese Szene-Macher

Clubs schließen, Clubs öffnen. Promis machen Hand- und Musiker Aufstand. Und der Ku’damm kommt Grosz raus. So war 2012.

Was für ein Jahr war das denn nun wieder? Das Chaos um den Flughafen reflektiert ja vor allem die Tatsache, dass ein solcher Flughafen kein Selbstzweck ist, sondern der lebensnotwendigen Nahversorgung der Stadt mit Touristen dient und damit ihre fortdauernde Existenz überhaupt erst sichert.

Berlin hatte immer mehr Hotelbetten als Touristen, das ist sein Alleinstellungsmerkmal; zuletzt schien es so, als wollten die Touristen dies alle noch einmal ausgiebig nutzen, bevor sie irgendwann nur noch in Leipzig-Halle landen können.

2012 also war stärker noch als die vorangegangenen Jahre für Berlin ein Touristen-Jahr. Wenn die Kellner in den einschlägigen Kneipen und Restaurants überwiegend Englisch sprachen, dann fragten wir uns bisher immer: Können die kein Deutsch? Oder sind sie einfach nur so unfassbar verschnöselt, dass sie das für cool halten, weil sie es mal im Soho House so gesehen haben, jener Sammelunterkunft für postinfantile Krawattenhasser, die was mit Medien machen?

Die Antwort ist einfacher: Sie reden englisch, weil ihre Gäste nicht deutsch sprechen, so sehr hat sich die Lage gewandelt. Die Berliner sind nicht mehr Herr ihrer Szene, das sollte inzwischen klar geworden sein, aber bitte, es gibt nun wirklich Schlimmeres. Irgendwo müssen die jungen Spanier ja ihren Jameson mit Ginger Ale trinken, den tückischen Nachfolger des Aperol Sprizz.

Allerdings resultiert aus dieser Lage ein bemerkenswertes Gedränge, zum einen rein physisch auf den Bürgersteigen der einschlägigen Richtig-reisen-Boulevards, zum anderen aber, was die Leuchttürme der Szene selbst anbelangt, die ihre Positionen im Mahlstrom des Zeitgeistes wechseln und dabei das Koordinatensystem, kaum haben es die Eingeweihten der B-Ebene verstanden, schon wieder ein Stück verschieben.

Das „White Trash Fast Food“ beispielsweise, Zentrale aller kulinarischen Komponenten der guten Cowboy-Kultur (also ohne George W.), an der sich der Szenegänger den Anfang der Schönhauser Allee merkte wie der Betrunkene an der Laterne den Heimweg – weggezogen in die Puschkinallee.

Bitte, wo ist das denn? Gibt es da … ach, der Taxifahrer wird es schon finden, sofern es kein Betrüger-Taxifahrer ist, jene Spezies, die failed cities so präzise anzeigt wie ein Fliegenschwarm Misthaufen – deren erstmaliges Auftauchen in Berlin wir also mit allergrößter Sorge zur Kenntnis nehmen müssen.

Ach, die Clubs. Ich rezitiere, was mir von kundigeren Kollegen aufgeschrieben wurde: Das Tape macht zu, der Schokoladen ist gerettet, das Cube eröffnet im Rollbergkiez (Rollbergkiez? Droht jetzt die Gentrifizierung von Buschkowskys Kernproblemzone?), der Club der Republik macht zu, soll aber in einer Pankower Brauerei wiedereröffnet werden, das Icon ist geschlossen, das Yaam sollte, musste dann aber doch nicht, die Bar-25-Leute schnappen sich ihr altes Areal, die Prinzessinnengärten scheinen gerettet, das Department aber muss zusammen mit der Galerie c/o raus aus dem Postfuhramt ...

Ach, und das finstere Herz der Szene, das Berghain, bleibt zwar, wo es immer war, in Friedrichshain, ist aber vom britischen Fachmagazin „DJMag“ aus der Liste der zehn weltbesten Clubs entfernt worden. Dafür hat die Gema ihre Tarifreform ausgesetzt, das Clubsterben ist also erst einmal abgesagt, im Berghain wie überall.

Die Szene ist aber nicht nur erlebnis-, sondern überhaupt hungrig. Ihre Suche nach der richtigen Futterkrippe folgt undurchschaubaren Gesetzen, in denen es auch irgendwie darum geht, cool zu sein, was beim Essen aber noch schwieriger zu definieren ist: Viel Fleisch auf jeden Fall, aber das bitte möglichst vegetarisch. Alle rannten hin, als der „Pauly-Saal“ eröffnete, ein Grill-Royal-Ableger, der dem einzelnen Gast deshalb etwa so viel Platz einräumte wie der Bauer dem Käfighuhn.

Mehr Platz ist im ganz ähnlich konstruierten „The Grand“, dessen Erfinder einfach deshalb im „Tip“ zu den peinlichsten Persönlichkeiten der Stadt gezählt wurde, weil angeblich überhaupt niemand aus der Szene hingeht. Ein bisserl gehypt wurde das seltsame Hotel-Restaurant „Mani“, in Kreuzberg öffnete die „Long March Canteen“ mit Opiumhöhlen-Flair.

Warteschlangen wanden sich im Advent vor dem „Grosz“ im Cumberland-Haus, der groszen Kudamm-Hoffnung. Auch die ganz Anspruchsvollen warteten, für dieses Jahr allerdings vergeblich, dass ihnen der Gastro-Gott Pierre Gagnaire im Waldorf-Astoria erscheine.

Andere Götter gefällig? Die vom Film scheinen Berlin als Zwischenstation akzeptiert zu haben und machen sich immer erst dann vom Acker, wenn die Boulevardpresse ihnen – wie weiland Brangelina – einen Hauskauf andichtet. Als Kandidaten kämen infrage Daniel Craig, Robert Pattinson, George „Nespresso“ Clooney, während Tom Hanks und Halle Barry durch ihren qualvollen Auftritt bei „Wetten, dass ..? wohl endgültig für Deutschland und damit auch Berlin verloren sind und noch während der „Cloud Atlas“-Premiere abreisten. Das Berlinale-Schwergewicht scheint sich dagegen von Holly- nach Bollywood zu verschieben, denn der Star Shah Rukh Khan machte Handstand mit Dieter Kosslick, wozu Meryl Streep sich nie hätte hinreißen lassen.

Und sonst? Ach. Kein Knut, nirgends, auch wenn die anderen Tiere im Zoo mächtig auf Nachwuchs gemacht haben. Was uns zu den Pet Shop Boys bringt, die sich so massiv an Berlin heranschmeißen, dass sie sogar die Silvesterfete am Brandenburger Tor zuschmachten dürfen. Vorher hatten sie in einem Video die S-Bahn auftauchen lassen – aber das ist wieder ein ganz anderes Thema.

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