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Fröhliche Momente. Hier spielen Flüchtlingskinder im Kindertreff des Flüchtlingsheims im Haus 25 der ehemaligen Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik in Reinickendorf.

© Thilo Rückeis

Asylbewerber in Berlin: Immer mehr Flüchtlingskinder kommen ohne Eltern

Junge Asylbewerber kommen immer öfter ohne ihre Eltern nach Berlin. Die meisten sind 16 oder 17 Jahre alt. Die Kinderhilfe ruft Pflegeeltern auf, sich zu melden.

Sie sind tausende Kilometer weit weg von Spielfreunden, von der Schule, von ihren Geschwistern, von den Eltern – falls diese überhaupt noch leben: Flüchtlingskinder in Berlin. Laut Senatsjugendverwaltung sind allein im vergangenen Jahr 1.085 junge Asylbewerber in dieser Stadt aufgenommen worden. Manchmal schickt sie die Familie aus Kriegsgebieten oder aus sehr armen Ländern ins vergleichsweise reiche Europa, um ihnen dort eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Manchmal aber werden die Kinder auch über Menschenhändler bis nach Deutschland gebracht, weil sich in der alten, zerbombten Heimat keine Verwandten mehr ihrer annehmen können. Die Deutsche Kinderhilfe ruft sozial engagierte und ausgebildete Familien und Erwachsene dazu auf, sich als Pflegeeltern für Flüchtlingskinder beim Pflegekinderdienst des für sie zuständigen Jugendamtes zur Verfügung zu stellen.

Derzeit stünden die Jugendämter unter starkem Druck, kurzfristig genügend Pflegefamilien zu finden. Die Nachfrage dürfe aber nicht zur Folge haben, dass Eignungsüberprüfungen von Pflegeelternbewerbern verkürzt oder vereinfacht werden, lautet der Appell. Das Bundesland Bremen hat bereits teilweise damit begonnen, Flüchtlingskinder und Jugendliche in Pflegefamilien unterzubringen.

Wie Staatssekretärin Sigrid Klebba von der Berliner Jugendverwaltung mitteilte, betreuten die bezirklichen Jugendämter am Stichtag 31. Dezember 2014 in Berlin insgesamt 534 so genannte minderjährige unbegleitete Flüchtlinge. Die meisten sind 16 oder 17 Jahre alt. Es gibt aber auch deutlich jüngere Kinder. 2012 war das jüngste sieben, 2013 und 2014 nur fünf Jahre alt. 70 Prozent sind Jungen, teilte Sprecher Thorsten Metter von der Jugendverwaltung mit. Sie kommen aus mehr als 50 Ländern. Schwerpunkte seien die bekannten Krisengebiete, die meisten Kinder kommen aus dem Nahen Osten – und auch aus Afrika.

Berlin hat meisten jungen Flüchtlinge aufgenommen

Die meisten, 65 Mädchen und Jungen, sind in Charlottenburg-Wilmersdorf untergebracht. Dann folgt Tempelhof-Schöneberg mit 53 Kindern, in Lichtenberg und in Marzahn-Hellersdorf sind es je 48. Die wenigsten Flüchtlingskinder werden von den Jugendämtern in Mitte (37), Steglitz - Zehlendorf (36) und Neukölln (35) betreut. Zunächst werden die Kinder in Berlin der Erstaufnahmeeinrichtung/Clearingstelle (EAC) in der Wupperstraße betreut; freie Platz zu finden, sei "eine große Aufgabe", und EAC, Bezirke und Einrichtungen versuchten, mit viel Einsatz Kapazitäten schaffen, sagte Sprecher Thorsten Metter von der Senatsjugendverwaltung.

Der CDU-Abgeordnete Sven Rissmann hatte eine schriftliche Anfrage beim Senat zu dem Thema gestellt. Verteilt werde über den Quotenschlüssel für die Bundesländer. 230 Jugendliche sind älter als 18 Jahre, manche gaben sich Experten zufolge als jünger aus, um bei der Unterbringung, beim Ausländerrecht oder dem Familiennachzug womöglich bessere Bedingungen wie eine Duldung zu erhalten. Im Streitfall werde mit Zahn-oder Knochentests das wahre Alter herausgefunden.

Berlin habe im vergangenen Jahr zusammen mit den Ländern Hamburg, Bremen, Hessen, Bayern, Nordrhein-Westfalen und dem Saarland im bundesweiten Vergleich die meisten jungen Flüchtlinge aufgenommen – dies liege auch an der vergleichsweise großen Zahl von „Flug- und Seehäfen“. Laut Sigrid Klebba haben die Regierungschef der Länder sich mit dem Bund darauf verständigt, dass unter Federführung des Bundesjugendministeriums zeitnah ein neuer Gesetzentwurf zur Verteilung vorgelegt werde.

Intensive Betreuung ist notwendig

In Berlin entscheiden die Familiengerichte, wenn ein gesetzlicher Vertreter für das Kind bestellt werden muss, weil kein „Personensorgeberechtigter“ ermittelt werden kann. Für die Amtsvormundschaften für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge ist das Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf zuständig. Dessen Angaben zufolge waren im Dezember 2014 insgesamt 135 Vormundschaften und 15 Ergänzungspflegschaften beschlossen worden. Nach den Clearingverfahren in den beiden Erstaufnahmestellen sind dann die bezirklichen Jugendämter zuständig dafür, die Kinder in Jugendhilfeeinrichtungen unterzubringen.

Die Kosten für die sorgerechtliche Vertretung werden meist übernommen, teilt der Senat mit, auch wenn die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge noch telefonischen Kontakt zu den Eltern im Heimatland haben und deswegen kein gesetzlicher Vertreter bestellt wurde. Demnach zahlte die Jugendverwaltung 2012 rund drei Millionen Euro, 2013 waren es gut vier Millionen und 2014 knapp sechs Millionen Euro. Es kommt viel Geld zusammen, weil bei den kleinen, einsamen Kindern personalintensive Betreuungen nötig sind. Hinzu kommen Kosten für Schule und psychologische Betreuung. Gerade erst hat der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Gerd Müller, gefordert, mehr Geld für die Beratung und Behandlung der schwer traumatisierten Kinder bereitzustellen. Deren Zahl dürfte künftig weiter steigen.

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