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Berlin: In aller Stille

Seit 1816 Tradition: Am letzten Sonntag vor dem Advent wird der Verstorbenen gedacht

Bevor der November zu Ende geht und der Vorweihnachtstrubel beginnt, ist noch einmal Gelegenheit, inne zu halten, sich zu besinnen. Gefühle von Verlust und Trauer werden bei manchem wach, aber auch von Dankbarkeit nach der Erlösung eines Menschen – heute ist Totensonntag, der Tag, an dem traditionell der Verstorbenen gedacht wird. Die 224 Berliner Friedhöfe, davon 88 landeseigene, sind Orte der Erinnerung, oft zugleich Idyllen im Großstadttrubel , wie etwa der historische Kirchhof Am Südstern. Man flaniert vorbei am Grab des Stadtarchivars Fidicin, am expressionistischen Grab-Obelisk von Max Taut für den Dampfwäschereibesitzer Reibedanz, kann am Grabmal des Außenministers Stresemann verweilen. Vielerorts werden Führungen geboten (siehe Kasten).

In Berlin gibt es derzeit auf konfessionellen Friedhöfen immer mehr Bestattungen, denn auf den landeseigenen sind die Gebühren gestiegen. „Wir mussten sie wegen der Aufwendungen für die Infrastruktur der riesigen Gelände für Pflege und Wartung anpassen“, sagt Beate Profé von der zuständigen Senatsbehörde. Im Jahr 2015, so die Prognose, wird Berlin 300 Hektar zu viel an ungenutzter Friedhofsfläche besitzen – das ist eine Fläche anderthalbmal so groß wie der Tiergarten. Laut Friedhofsentwicklungsplan sollen daher elf Friedhöfe zu Parks oder Baugelände werden – weil immer mehr Menschen eine Urnenbestattung oder gar eine anonyme Beerdigung vorziehen. Zudem sinkt die Sterberate – trotz Überalterung der Gesellschaft.

Noch mehr Friedhöfe könnten überflüssig werden, sollte eines Tages erlaubt sein, was in anderen Ländern bereits üblich ist: Haben Angehörige den Wunsch, dem geliebten Menschen noch im Tode nahe zu sein, können sie seine Urne sogar im Garten besetzen lassen. So etwas aber lehnt die Evangelische Kirche für Berlin und Brandenburg ab, wie Pressesprecher Markus Bräuer betont. Anderen Verwandten und Freunden bliebe so ein allgemein zugänglicher Ort des Gedenkens verwehrt, und bei Streitfällen in Familien würden Urnen mitunter sogar vorenthalten. „Wir brauchen Friedhöfe als Stätte öffentlichen Gedenkens“, sagt der Kirchensprecher. Konkurrenz erwächst den Friedhöfen – kommunalen wie kirchlichen – auch durch so genannte Friedwälder, wo man sich unter einem Baum beisetzen lassen kann. Die Idee für solche Orte, ursprünglich aus der Schweiz stammend, wurde im Berliner Raum beispielsweise in Hangelsberg nahe Erkner verwirklicht.

Nicht nur Beerdigungsorte verändern sich, sondern auch Rituale. Längst können Angehörige eigene Trauerreden halten und zu unkonventionellen Abschiedsfeiern einladen. Grabschmuck wird immer individueller – auf dem Luisenstädtischen Friedhof etwa sind Kindergräber mit Teddybären und Plüschtieren, mit bunten Käfern und Schmetterlingen verziert. Mitunter ersinnen Gemeinden für ihre kulturhistorischen Stätten wie dem Friedhof Stahnsdorf Veranstaltungen wie „Länge Nächte“ mit Kunst und Kultur. Bundesweit wird im September der „Tag des Friedhofs“ veranstaltet.

Und warum wird am Sonntag vor dem Advent der Toten gedacht? Der Gedenktag geht auf eine Anregung aus der Reformationszeit zurück. Er stellt eine evangelische Alternative zum katholischen Allerseelentag dar. Der Ewigkeitssonntag – so der offizielle Name – wurde erstmals Mitte des 16. Jahrhunderts in einer Kirchenordnung erwähnt. Preußens König Friedrich Wilhelm III. machte ihn 1816 amtlich – als „Feiertag zum Gedächtnis der Entschlafenen“.

Annette Kögel

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