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Berlin: „In Berlin hat es Elif besser als in der Türkei“

Arm und wohnungslos: Ihr Vater erzählt, warum eine Adoption das Beste für sein Kind ist

Von Thomas Seibert, Istanbul

Murat Hergünöz war bis zum 17. August 1999 ein glücklicher Mann. Mit Frau und Kind lebte er in einem dreistöckigen Haus in der nordwesttürkischen Stadt Adapazari, rund 120 Kilometer von der Metropole Istanbul entfernt. Dann kam das schwere Erdbeben, das innerhalb von 45 Sekunden in der Region um Adapazari mindestens 20000 Menschen tötete. Hergünöz, der mit seiner Familie im zweiten Stockwerk des Wohnhauses lebte, blieb nach dem Beben mehrere Stunden unter den Trümmern verschüttet, bevor Helfer ihn aus der Ruine zogen. Auch seine damals fünfjährige Tochter Elif konnte gerettet werden, weil sie unter einem umgekippten Schrank überlebte. Doch Murats Frau – Elifs Mutter – kam ums Leben.

Wenige Wochen nach der Katastrophe konnte Hergünöz die Tochter mit einem Touristenvisum zu ihrer Tante nach Berlin schicken. Nun will die Tante das Mädchen adoptieren, um die drohende Abschiebung des Mädchens zu verhindern und ihr die Rückkehr in die Türkei zu ersparen - und Elifs Vater ist mehr als einverstanden. Dabei will Murat Hergünöz nicht als Unmensch missverstanden werden. Er gehört zu den vielen tausend Türken, die bis heute unter den Folgen des Bebens leiden, und er sagt selbst, dass er kaum für seine Tochter sorgen könnte.

Nach langer Arbeitslosigkeit fand Elifs Vater zu Jahresbeginn eine Stelle bei einer Transport- und Umzugsfirma in Adapazari, mit der er sich über Wasser halten kann, aber an eine mit Berliner Verhältnissen vergleichbare Versorgung und Ausbildung einer Tochter ist nicht zu denken: Hergünöz verdient gerade einmal den staatlich vorgeschriebenen Mindestlohn von 306 Millionen Türkische Lira im Monat - umgerechnet sind das etwa 170 Euro. Er lebt wie andere Erdbebenopfer auch immer noch in einem Wohncontainer. Noch nicht einmal ein Telefon hat Hergünöz.

Seine Tochter hat er seit 1999 nicht mehr gesehen, der einzige Kontakt besteht in seltenen Telefonaten. Dabei muss aber Elif von der Wohnung ihrer Tante in Neukölln aus anrufen - er selbst kann sich ein Telefonat aus der Türkei nach Deutschland nicht leisten. „Das Wichtigste ist das Leben meiner Tochter", sagte der 38-Jährige jetzt in einem Telefoninterview aus Adapazari mit dem Tagesspiegel in Istanbul. „In Berlin hat sie es besser als hier." Mit seinem mageren Einkommen könnte er Elif kaum ernähren. „Wir haben hier doch nichts, noch nicht mal eine Wohnung." Dem Verdacht, er sei ein Drückeberger, der sein Kind gerne los wäre, tritt er entgegen: „Wenn es mit der Adoption nicht klappt und Elif in die Türkei zurückkommt, werde ich alles für sie tun, was ich kann."

Der Anwalt Halim Sarac, der sich für Elifs Tante und Pflegemutter Esmar Yontar um das Adoptionsverfahren in Adapazari kümmert, ist zuversichtlich, dass der Fall innerhalb von kürzester Zeit abgeschlossen werden kann. Hergünöz würde eine positive Entscheidung des türkischen Gerichts begrüßen. Er hofft aber, dass seine Tochter nicht auf immer und ewig im fernen Berlin bleiben wird. „Wenn sie 19 ist und die Schule abgeschlossen hat, kommt sie vielleicht wieder", sagt Elifs Vater. „Aber dann entscheidet sie selbst."

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