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In Berlin: Kriegsfreiwillige gesucht

Die US-Armee lud zum Casting ins Hotel Estrel. Sie braucht Statisten für Übungen, bevorzugt Araber. Wer einen Bürgermeister, Clanchef oder Scheich darstellt, hat einen besonderen Status.

Christian Friedberg, arbeitsloser Kraftfahrer aus Marzahn, dachte wie die meisten hier ans Filmemachen. „Statisten (m/w) gesucht“ stand in der Anzeige. Und dass die Kosten für Verpflegung, Anreise und Unterkunft übernommen würden. Mehr wollte Friedberg nicht wissen. Jetzt sitzt er mit knapp 300 anderen – viele Rentner, Hartz-IV-Bezieher, Künstler und Obdachlose – in einem Konferenzsaal des Estrel-Hotels und wartet aufs Casting.

Einsatzort für die künftigen Komparsen ist der US-Truppenübungsplatz Hohenfels in Bayern. Dort werden sie für das „interkulturelle Training“ der US-Soldaten gebraucht. Erwünscht sind Deutsche, die ein bisschen Englisch sprechen, aber auch mehrsprachige Migranten. Besonders nachgefragt sind seit einigen Jahren Araber. Wer arabisch spricht, bekommt 100 Euro am Tag. Ohne Arabisch gibt es nur 90.

Die Statisten leben drei Wochen lang völlig isoliert von der Außenwelt in sogenannten „Geisterdörfern“ im militärischen Sperrgebiet. Weglaufen ist schwierig. Es gibt keine Straßen, nur „tank trails“ – Panzerschneisen. Das Programm nennt sich „civilians on the battlefield“. Die Freiwilligen werden für Kriegsspiele benötigt. Um die Dörfer mit ihren echten Häusern, Bauernhöfen, Kirchen und Rathäusern mit Leben zu füllen, sind bis zu 600 Statisten im Einsatz. Die meiste Zeit sitzen sie herum und warten auf ihre Eroberung durch die US-Armee.

Auf der Bühne des Estrel-Saals stehen fünf Kartons mit Fragebögen und einem ausführlichen Englischtest. Davor fürchtet sich Friedberg am meisten. Bernd Ludwig von der Castingfirma SST, ein Zivilist in Jeans, macht allen Ängstlichen Mut. Im Ernstfall gebe es auch Statisten, die Übersetzer spielten. Deswegen mache man ja den Englischtest. Viel wichtiger ist Ludwig die Klarstellung, was von den künftigen Schlachtfeldbewohnern erwartet wird. Sie sollen sich vor allem an die Regeln der US-Armee halten, sonst drohe die Abschiebung „nach Deutschland“. Der Übungsplatz sei US-Territorium. Erlaubt ist Rauchen, Musikhören und Lesen. Verboten sind Alkohol, Drogen, Handys, Laptops, Foto- und Videokameras. Geschlafen wird in Sammelunterkünften, teilweise auch in beheizten Zelten auf US-Feldbetten. Die Verpflegung sei üppig, sagt Ludwig, schon zum Frühstück gebe es Rührei und Würstchen, dann den ganzen Tag über Burger, Kuchen und Kaffee. Jeder Bewerber wird von deutschen und US-Behörden durchleuchtet. „Falls Sie mit Haftbefehl gesucht werden, bleiben Sie zu Hause“, sagt Ludwig, ohne ein Lächeln anzudeuten.

Nach seinem Vortrag ist Christian Friedberg entschlossen, der US-Armee zu dienen. Für ein halbes Jahr vielleicht. Ein fester Arbeitsvertrag klingt verlockend. Und die Kasernierung in der Sammelunterkunft, das kennt er schon von seiner Zeit bei der Nationalen Volksarmee.

Mahmoud Bahzad hat von Ludwigs Vortrag nur so viel verstanden, dass er sich seine Filmhoffnungen wohl aus dem Kopf schlagen muss. Dafür kann sich der Exil-Syrer konkrete Hoffnungen auf eine tragende Rolle im Kriegsspiel der US-Armee machen. Er ist gelernter Schauspieler, hat schon mal einen Bürgermeister dargestellt, und genau diese Rolle hat im Trainingsplan der US-Armee einen privilegierten Status. Bürgermeister, Clanchefs oder Scheichs müssen eine Woche früher anreisen, um ihre Rolle einzustudieren. Dafür bekommen sie 30 Euro Extragage. Thomas Loy

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