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Berlin: In bester Verfassung

Frankfurter Experte hält Gemeinschaftsschule nicht für rechtswidrig

Ein neues Argument gegen die Gemeinschaftsschule macht die Runde. Es lautet, die flächendeckende Einführung als Regelschule sei „verfassungswidrig“, weshalb der von Rot-Rot geplante Modellversuch schon im Ansatz unsinnig sei. Zwei Urteile des Bundesverfassungsgerichts werden dabei herangezogen. Der renommierte Frankfurter Rechtswissenschaftler Hermann Avenarius hat sich auf Anfrage mit dieser These befasst und kommt zu einem eher zurückhaltenden Urteil.

Karlsruhe hatte sich in den siebziger Jahren mehrmals mit der Frage beschäftigt, inwieweit die Freiheit der Eltern bei der Schulwahl beschränkt werden dürfe. Das Ergebnis lautete, dass es mit dem Grundgesetz „nicht vereinbar ist, dass das Wahl- und Bestimmungsrecht der Eltern angesichts nur noch einer einzigen vorhandenen Schulform mit einem vom Staat einseitig festgestellten Bildungsziel obsolet wird und leer läuft“. An anderer Stelle sagten die Richter, „dass durch das Landesrecht ein Kind nicht übermäßig lang in einer Schule mit undifferenziertem Unterricht festgehalten werden darf“.

Nur auf den ersten Blick seien diese Zitate eindeutig, sagt Avenarius, der am Deutschen Institut für internationale pädagogische Forschung Professor für öffentliches Recht ist. So sei nicht gesagt, ob man von einem „einseitig festgestellten Bildungsziel“ sprechen könne, wenn man an einer Gemeinschaftsschule sowohl den Haupt- und Realschulabschluss als auch das Abitur ablegen könne. Ebenso wenig sei klar, was denn genau „undifferenzierter Unterricht“ sei. Wenn Lehrer in der Lage seien, innerhalb einer Lerngruppe Kinder unterschiedlichster Begabungen gleichzeitig zu fördern, könne man doch nicht von „undifferenziertem Unterricht“ sprechen. Er glaubt, dass Karlsruhe heute „behutsamer“ entscheiden würde, da doch etliche Staaten mit Gemeinschaftsschulen bei der Pisa-Studie gut abgeschnitten hätten. Auf jeden Fall wäre er mit einem „verfassungsrechtlichen Totalverdikt“ „zurückhaltend“, betont der Forscher.

Die entscheidende Frage liegt für Avenarius allerdings nicht im rechtlichen, sondern im pädagogischen Bereich und lautet: Ist der durchschnittliche Lehrer überhaupt in der Lage, den verschiedenen Schülern gerecht zu werden? Ist er dafür ausgebildet? Angesichts der „Realien“ in deutschen Schulen sei er da eher „skeptisch“, sagt Avenarius, weshalb er ganz klar nicht die Gemeinschaftsschule, sondern ein zweigliedriges Schulsystem favorisiere wie etwa in Sachsen: Dort gibt es neben dem Gymnasium nur eine weitere Schulform, die Haupt- und Realschüler verbindet.

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