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In OMAS ZEITung (10): Sonnenkinder

Dorothea Spannagel war Lokalreporterin im Berlin der 50er Jahre. Ihr Enkel Lars entdeckt ihre Texte neu. Diesmal: Berlins Kleinkinder bekommen eine Verschnaufpause von der Stadt.

Der Sommer 1951 kam Ende Mai in Berlin an, zumindest wenn man den Texten meiner Oma Thea glauben darf (was ich natürlich aus vollem Herzen tue). „Gestern spürte man es deutlich“, schreibt sie am 22. Mai, „nicht nur an der Sonnenwärme, sondern auch an einem typischen Berliner Sommerbild: Sonderautobusse und Straßenbahnen, voll von fröhlichen Kindern.“ Es ist der erste Tag der Aktion „Kleinkinder in Luft und Sonne“, die dem Nachwuchs eine Verschnaufpause von der Stadt verschaffen soll.

„Frühmorgens schon sah man die Drei- bis Sechsjährigen, eine Kennkarte am Hals, brav an den Händen ihrer Mütter an den Sammelplätzen“, schreibt meine Oma. Per Bus werden rund 6000 Kinder vier Wochen lang auf 40 Erholungsheime verteilt, abends kommen die Kinder wieder nach Hause. Die Eltern zahlen 40 Pfennig pro Tag, Bedürftige sind vom Beitrag befreit. „Damit wird auch den Müttern eine gewisse Entspannung geboten“, merkt meine Oma an, selbst alleinerziehende Mutter von zwei Kindern. Auch mein Vater und meine Tante werden damals in dem Programm betreut, ihre tägliche Reise geht allerdings nur von Lichtenrade nach Marienfelde. Aufregend ist sie bestimmt trotzdem.

Eine „Hortnerin“ kümmert sich immer um zwölf Kinder, der Berliner Betreuungsschlüssel 1951 lässt genauso zu wünschen übrig wie der 2015. „Damit sich die Nesthäkchen nicht verlaufen und die ,Tanten‘ nicht so viele Namen merken müssen, erhielten die Kinder Tier- und Blumennamen“, heißt es im Artikel meiner Oma. „Da gab es Schneckenmädchen, Elefantenjungen oder Gänseblümchen-Kinder.“ Kindergärten gibt es 1951 in Berlin noch nicht, die Bedürfnisse der Kleinen sind aber dieselben wie heute. „Besonders die Steglitzer Kinder, die am Wannsee untergebracht sind, wünschen sich Buddeleimer und Schippen“, schreibt meine Großmutter.

In den Heimen sollen die Kinder spielen, wandern und singen, von 12 bis 15 Uhr ist Mittagsschlaf. „Besonders die Einzelkinder, denen es an Spielgefährten fehlte, und die Steppkes, die bisher zuhause auf den Balkon oder die Straße als Spielplatz angewiesen waren, sind glücklich, Kameraden und einen weiten Auslauf gefunden zu haben“, schreibt meine Oma. „Für Abwechslung sorgen geschulte Gymnastiklehrerinnen und, besonders bei schlechtem Wetter, die Basteltanten.“

Ich schätze, meine knapp dreijährige Tochter hätte großen Spaß daran, für einen Tag mit dem Bus und anderen Kindern in ein Abenteuer zu starten, ich kann sie mir sehr gut als Gänseblümchen-Kind mit Kennkarte um den Hals vorstellen. Ich bin aber auch froh, dass sie in ihrem Kinderladen gut aufgehoben ist. Auch dort gibt es eine geschulte Gymnastiklehrerin, die mit den Kindern turnt.

Gebastelt wird auch. Als Basteltanten würde ich die Erzieherinnen aber nicht bezeichnen – sonst schmeißen sie mich wahrscheinlich raus.

Diese Kolumne ist gedruckt in der Tagesspiegel-Samstagsbeilage Mehr Berlin erschienen. Alle Folgen finden Sie unter diesem Link.

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