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In OMAS ZEITung (48): Großraumtaxi

Dorothea Spannagel war Lokalreporterin im Berlin der 50er Jahre. Ihr Enkel Lars entdeckt ihre Texte neu. Diesmal: Oma Thea besucht einen Taxi-Visionär.

Fritz Werner hat Anfang der 1950er Jahre eine Idee. Jahrelang hat er als Gepäckkutscher Berliner durch die Stadt gefahren. Auf dem Weg in den Urlaub schleppten die Städter damals ihre halben Wohnungseinrichtungen mit. Im Juli 1954 ist die Zeit der Droschken vorbei, statt großer Pferdewagen rollen enge Autos durch Berlins Straßen. Und Fritz Werner, den meine Oma Thea in der „Neuen Zeitung“ einen „alten Taxi-Hasen mit modernen Anschauungen“ nennt, wittert ein gutes Geschäft.

„Ich habe doch eine Taxe bestellt und keinen Bus“

Werner hat sich einen Volkswagen-Bus mit acht Sitzen angeschafft. Das erste Großraumtaxi Berlins ist geboren und kurvt auf der Suche nach Kundschaft durch die Stadt. Meine Oma berichtet in der „Neuen Zeitung“ über die kleine Revolution – und ihre Startschwierigkeiten. Denn die Fahrgäste reagieren erst einmal skeptisch auf das Vehikel. „Ich habe doch eine Taxe bestellt und keinen Bus“, lautet ihre Beschwerde, wenn Fritz Werner anrollt. „Erst wenn er geschworen hat, dass der etwas überdimensionierte Wagen zum normalen Tarif läuft, steigen die skeptischen Berliner ein“, schreibt meine Oma.

Dabei ist auch der Komfort im neuen Großraumtaxi überdimensioniert. „Die Polstersitze sind bequem wie Klubsessel, Frischluftregulatoren sorgen für angenehmes Klima“, preist Fritz Werner sein Gefährt an. „Wer will, kann an einem kleinen Klapptisch im Wagen auch schreiben.“ Mit einem Hebel am Lenkrad lässt sich zudem eine Trittleiter zum bequemen Ein- und Aussteigen ausfahren.

Die Berliner sind begeistert – zumindest erzählt das Fritz Werner

Das Schwarz-Weiß-Foto zum Artikel meiner Großmutter zeigt einen blitzblanken VW-Bus, daneben steht ein Mann in Chauffeur-Uniform, mutmaßlich Fritz Werner. Der Taxi-Entrepreneur klappt auf dem Bild mit einladener Gäste eine Hälfte der Doppeltür auf, meiner Oma erklärt er die Vorteile des breiten Einstiegs: „Bei mir können Fahrgäste Kinderwagen, Kabinenkoffer, Paddelboote oder, wenn sie wollen, sogar ein kleines Klavier mitnehmen.“ Werner kann gar nicht aufhören, die vielseitigen Verwendungszwecke seines Gefährts aufzuzählen. „Für größere Gesellschaften, Damen mit engen Röcken, Gehbehinderte und mit großem Gepäck Beladene sei sein Wagen geradezu ideal“, zitiert ihn meine Oma. Auch die Berliner sind begeistert – zumindest erzählt das Fritz Werner –, wenn sie erst einmal ihre Vorbehalte überwunden haben und eingestiegen sind.

Ich würde gerne wissen, ob sich die Idee des Großraumtaxis 1954 sofort durchgesetzt hat. Heutzutage sind Taxibusse in Berlin ja alltäglich – die Frage ist nur, ob Fritz Werner davon bereits profitiert hat. Vielleicht hat ihm jemand auch einfach seine Idee geklaut und ist reich geworden, während der Erfinder selbst pleiteging. Das nächste Mal, wenn ich ein kleines Klavier oder eine Dame im engen Rock transportieren muss, werde ich jedenfalls ein Großraumtaxi rufen und an Fritz Werner denken.

Diese Kolumne ist gedruckt in der Tagesspiegel-Samstagsbeilage Mehr Berlin erschienen. Alle Folgen finden Sie unter diesem Link.

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