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Berlin: Innensenator verbietet erstmals Neonazi-Gruppen Doppelschlag gegen die Szene: Körting löst zwei „Kameradschaften“ auf.

Sicherheitsexperten beobachteten zunehmende Radikalisierung

Von Frank Jansen

Um sechs Uhr früh kam das Aus: Die Polizei klingelte in Berlin und Schönefeld die führenden Mitglieder der Neonazi-Gruppen „Kameradschaft Tor“ und „Berliner Alternative Süd-Ost“ aus dem Bett, dann wurde das Verbot beider Organisationen verkündet. Anschließend durchsuchten die Beamten die insgesamt zehn Wohnungen und schleppten kistenweise Material heraus, vor allem braune Propagandaschriften. Die verschlafenen Rechtsextremisten leisteten keinen Widerstand. Es war Innensenator Ehrhart Körting gelungen, mit dem Verbot die beiden aktivsten und besonders provokativ auftretenden Nazi-Cliquen der Stadt zu überraschen.

„Wir haben uns gesagt: Es reicht jetzt“, beschrieb Körting am Mittag die Stimmung seines Hauses. Monatelang hatten die Innenverwaltung, Landeskriminalamt und Verfassungsschutz geprüft, ob die vorliegenden Erkenntnisse über die zwei Kameradschaften für ein Verbot ausreichen. Einschlägige Erfahrungen gab es nicht, im wiedervereinigten Berlin ist noch nie eine rechtsextreme Organisation nach dem Vereinsrecht aufgelöst worden. Doch die zahlreichen, schwer erträglichen Auftritte der zwei Kameradschaften und die Straftaten ihrer Mitglieder veranlassten Körting schließlich zu seinem „Doppelschlag“, wie er gestern sagte. Und dieser sei Teil eines „Doppelkonzepts“: Rechtsextreme Strukturen würden, wann immer möglich, zerschlagen. Gleichzeitig werde mit politischen Argumenten gegen den Rechtsextremismus in der Stadt vorgegangen.

Beide Kameradschaften zählten im Kern zehn bis 15 Mitglieder. Hinzu kam eine größere Zahl Sympathisanten, meist Jugendliche und Heranwachsende. Die vor fünf Jahren in Lichtenberg gegründete Kameradschaft Tor (der Name bezieht sich auf die Gegend um das Frankfurter Tor) leistete sich auch eine fünfköpfige „Mädelgruppe“, die der Senator gleich mit verbot. Anführer der Kameradschaft Tor war Björn Wild, der seit 2002 dreimal wegen szenetypischer Delikte verurteilt wurde. In seinem Hass ging Wild so weit, während der Beschäftigung beim Finanzamt Friedrichshain/Prenzlauer Berg laufend den Computer anzuzapfen, persönliche Daten eines Polizisten und anderer Gegner zu entnehmen und mit wüsten Kommentaren im Internet zu veröffentlichen. Die Polizei ermittelte 184 Fälle von Datenmissbrauch.

Vor allem in Treptow-Köpenick und Neukölln trieb die im September 2003 erstmals aufgetretene Berliner Alternative Süd-Ost (Baso) ihr Unwesen. Sie wurde geleitet von dem früheren NPD-Funktionär René Bethage. Im Dezember 2004 versuchte Bethage, den Leitenden Polizeidirektor Michael Knape einzuschüchtern. Der Neonazi meldete eine Demonstration vor dem Wohnhaus des Beamten an, den die Szene wegen seiner Einsätze gegen Rechtsextremisten hasst. Der Aufmarsch wurde untersagt.

In der Verbotsverfügung werden der Kameradschaft Tor wie der Baso eine „Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus“ und „kämpferisch-aggressive“ Agitation gegen die demokratische Grundordnung bescheinigt. Sicherheitsexperten berichten außerdem, beide Kameradschaften hätten sich in den vergangenen Jahren weiter radikalisiert. Vor allem die Kameradschaft Tor versuchte, auch auf ihren Seiten im Internet, die Aktionsformen militanter Linksextremisten zu kopieren. Anhänger beider Neonazi-Gruppierungen waren denn auch am 1. Mai 2004 bei Angriffen auf Polizisten dabei. Außerdem beteiligten sich zumindest Mitglieder der Kameradschaft Tor im Dezember 2003 an einer Kundgebung vor dem Tagesspiegel, bei der Hassparolen gebrüllt wurden.

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