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Integration: Diesseits der Dönerbuden

Der Berliner Integrationsbeauftragte hat die Broschüre über Türken in der Hauptstadt aktualisiert. Das gratis erhältliche Heft wirkt beinahe wie ein Lifestyle-Magazin. Doch die "Einblicke in die neue Vielfalt" sind nicht vollständig.

Bei der Recherche für die neue Broschüre über Türken in Berlin stießen der Autor Martin Greve und die Fotografin Kalbiye Nur Orhan auf unterwartete Schwierigkeiten. „Viele, die wir interviewen wollten, winkten ab. Sie dachten, es ginge mal wieder um die Themen Jugendgewalt oder Islamismus.“ Diese Reaktion sei symptomatisch für das Verhältnis zwischen Türken und Deutschen in Berlin: Noch immer würden Türken klischeeartig betrachtet, noch immer diskriminiert. Um die rund 120 000 türkischen Staatsbürger und die mindestens 70 000 Deutschen türkischer Herkunft in Berlin aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten, hat der Beauftragte des Senats für Integration und Migration, Günter Piening, jetzt die neue Broschüre „Berlin Deutsch-Türkisch. Einblicke in die neue Vielfalt“ herausgegeben.

Das gratis erhältliche 95-Seiten-Heft wirkt beinahe wie ein Lifestyle-Magazin. „Wir wollten auch durch die Optik deutlich machen, dass die Türken der dritten, vierten Generation nicht mehr im mit Plastikblumen und Goldrahmen-Familienbildern vollgestellten Ambiete zuhause sind“, sagt Kalbiye Nur Orhan. Co-Autor Martin Greve hat vor zehn Jahren schon das vergangene Heft über diese Migrantengruppe geschrieben. Was sich seitdem verändert hat? „Es gibt es viel mehr türkische Unternehmer in Berlin, mehr Künstler – die Türken sind allgemein viel ,deutscher‘ geworden.“

Allerdings bestehe nach wie das Problem, dass vielfach keine verlässlichen Statistiken vorliegen: So werden oft nur türkische Staatsbürger, nicht aber die eingebürgerten Ex- Türken erfasst. So liegt beispielsweise kein verlässliches Datenmaterial über deutsch-türkische Ehen in Berlin vor. Piening will Ende Mai mit dem Statistischen Landesamt neue Daten vorlegen – etwa zu vermehrten Umzügen von Türken in die Ostbezirke und in das Umland.

Im Heft sind türkische Berliner aus den Branchen Musik, Kunst, Sport, Film, Theater und Medien portraitiert. Es gibt unterhaltsame Kapitel zu Gebräuchen, wie eine augenzwinkernde Anleitung zum Kopftuchwickeln; Statistiken zu Stuenten und Schülern. Zu lesen sind auch Kapitel über gleichgeschlechtliche Lebensweisen, zu den „neuen Musliminnen“.

Kam die erste Einwanderergeneration oft aus anatolischen Dörfern, so haben es laut Piening etliche ihrer Kinder inzwischen in die Ober- und Mittelschicht geschafft. Wieviele der türkischen Berliner aber zu dieser still integrierten Gruppe gehören, kann der Integrationsbeauftragte nicht genau sagen. „Erfahrungsgemäß wird das eher das eine Drittel der eingebürgerten Türken sein.“ Ein Grund dafür, dass jeder zweite türkische Staatsbürger in Berlin arbeitslos sei, sei der Wegfall der Industriearbeitsplätze nach der Wende.

Natürlich gebe es nach wie vor die eher traditionell türkisch orientierten Parallelwelten wie etwa in Kreuzberg 36. „Aber es existieren eben wie in der deutschen Gesellschaft vielfältige Gruppen“, sagt Piening. Die aus Westdeutschland stammende Fotografin Orhan hat beispielsweise bei den Jugendlichen ein ganz eigenes Berlin-Bewusstsein ausgemacht. „Da verbindet nicht unbedingt das Türkischsein, sondern eher, Berliner zu sein.“ Ebenso fühlten sich viele Kopftuchträgerinnen „zwar als Muslime, aber als Berlinerinnen“. Dennoch bedauerte die migrationspolitische Sprecherin der Grünen, Bilkay Öney, dass in dem Heft bei den Portraits „doch wieder die üblichen Verdächtigen zu finden sind“.

Annette Kögel

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