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Integrationsbeauftragte: "Hier fehlt eine Kultur der Akzeptanz"

Peinliche Fragen von Deutschen, integrationsunwillige Türken: Ein Gespräch zum Tag der Migranten.

Azize Tank war von 1990 bis Anfang 2009 Migrantenbeauftragte von Charlottenburg-Wilmersdorf. Ihre Tochter, Gabriele Gün Tank, ist seit 2007 Integrationsbeauftragte in Tempelhof-Schöneberg. Ferda Ataman sprach mit ihnen anlässlich des Internationalen Tags der Migranten.

Frau Tank, Sie kamen 1972 als eine der letzten „Gastarbeiterinnen“ nach Deutschland. Wie war ihr erster Eindruck?


AZIZE TANK: Ich landete zum Arbeiten in einer Porzellanfabrik bei Wurst, einem Dorf in der Oberpfalz. Ich stand da in Schlaghosen, einem engen Oberteil mit vielen Ketten und Tüchern um den Hals. Die Mode schien dort noch nicht angekommen zu sein. „Die sind ja altmodisch“, war mein erster Gedanke. „Hier riecht es aber komisch“, mein zweiter. Wir Gastarbeiterinnen lebten in einem Wohnheim auf dem Bauernhof. Es roch immer nach Stall. Ich atmete nur durch den Mund, bis ich mich eines Tages an den Geruch gewöhnt hatte. Ich hatte nette deutsche Kollegen, wir unterhielten uns ganz gut mit Händen und Füßen. Irgendwann lernte ich Bayerisch. Später, in Berlin, auch Deutsch. (lacht)

Sie werden immer wieder verwundert darauf angesprochen, dass Sie so gut Deutsch sprechen und gar kein Kopftuch tragen. Was erwidern Sie?

AZIZE TANK: Ich sage dann: „Sie aber auch.“ Was soll man auch anderes sagen? Ich muss mich immer erklären, das ist schon anstrengend. Mich nervt vor allem jedes Jahr die Frage nach dem Urlaub: „Wie war’s in der Heimat, Frau Tank?“ Ich verstehe das gar nicht, ich spreche von Urlaub, die von Heimat. Ich bin hier zu Hause, was soll das?

GABRIELE GÜN TANK: Selbst bei mir wird oft noch von der Türkei als Heimat gesprochen. Das ist doch absurd. Manche Einwandererkinder sind hier in der 3. Generation und müssen nach den Sommerferien erklären, wie es „in der Heimat“ oder „zu Hause“ war. Dabei hat meine Generation ein viel internationaleres Verständnis von Zuhause.

Sind Sie religiös?


AZIZE TANK: Nein. Ich bin Atheistin.

GABRIELE GÜN TANK: Ich auch. Ich glaube an den Menschen, nicht an Gott. Aber manche fragen mich gar nicht und denken, ich sei Muslima und habe jung geheiratet, weil man das als Türkin eben muss.

AZIZE TANK: Ich trinke zum Beispiel auf Veranstaltungen selten Alkohol und werde immer gefragt, ob ich das wegen meines Glaubens tue. Aber ich mag eben nur sehr guten Wein. Ich bin verwöhnt, das ist alles.

Wundern Sie sich, dass Ihre Tochter nach fast 40 Jahren immer noch den gleichen Vorurteilen begegnet?

AZIZE TANK: Nein. Ich höre die Sprüche ja auch immer noch. Ich rate ihr, das emotional nicht an sich ranzulassen. Sonst kapselt man sich ab.

GABRIELE GÜN TANK: In Deutschland fehlt eine Kultur der Akzeptanz. Als ich in den USA war, hat mich niemand so bohrend gefragt, wo ich herkomme. Da wurde ich einfach mit meinem ungewöhnlichen Namen akzeptiert. Bei uns fehlt diese Normalität im Umgang mit Einwanderern. Stattdessen kommen aus der Mitte der Gesellschaft immer häufiger rassistische Äußerungen. Und die werden dann noch auf ihren Wahrheitsgehalt geprüft.

Sprechen Sie jetzt von Thilo Sarrazin, der sagte, ihm seien „osteuropäische Juden“ in Deutschland lieber als Araber und Türken?


AZIZE TANK: Von Sarrazin, aber auch anderen. Es gibt viele Stimmungsmacher, die gefeiert werden, weil sie auf Einwanderern rumhacken. Ich denke, diese Leute haben die Demokratie nicht verstanden. Armer Willy Brandt, der würde sich im Grab umdrehen, wenn er mitbekäme, wie einige die Demokratie beschneiden wollen, statt mehr Demokratie zu wagen.

Wie reagieren Sie auf Debatten, in denen es um die „gescheiterte Integration“ geht ?


AZIZE TANK: Beim Thema Abschottung muss ich immer erwähnen, dass es im Grunewald ebenfalls Parallelgesellschaften gibt, die unter sich bleiben wollen. Wir müssen alle lernen, über den Tellerrand hinauszusehen, und erkennen, dass die Vielfalt durch Menschen aus aller Welt eine große Bereicherung sein kann.

GABRIELE GÜN TANK: Letztendlich kann man nur aufklären. Die Probleme, die wir in Deutschland haben, sind Bildungsmangel, Arbeits- und Perspektivlosigkeit und vielleicht noch die daraus folgende Kriminalität. Das sind soziale Fragen, keine ethnischen. Als die Rütli-Schule einen Brandbrief schrieb, sprachen alle vom Scheitern von Multikulti. Dass kurze Zeit darauf ein Schulleiter aus Sachsen – wo es kaum Migranten gibt – haargenau die gleichen Probleme beschrieb, wollte keiner wahrhaben.

Was also ist Ihre Botschaft als Integrationsbeauftragte?


GABRIELE GÜN TANK: Wir müssen unser Bildungssystem verbessern und eine sozialere und solidarische Gesellschaft gestalten, statt uns über die Herkunft einiger Menschen zu streiten. Allerdings wird die wirtschaftliche Lage der Menschen schlechter und der Verteilungskampf härter. Also suchen viele einen Sündenbock. Das ist nicht die Gesellschaft, in der ich leben will.

Warum haben Sie sich entschieden, Integration zu Ihrem Beruf zu machen?

GABRIELE GÜN TANK: Ich war immer engagiert und habe irgendwann diese Ausschreibung im Bezirksamt gesehen. Da habe ich entschieden, dass es besser ist, sich in der Verwaltung, also von innen heraus für die Sache einzusetzen.

AZIZE TANK: Eine frühere Kollegin sagte, ich übe keinen Beruf, sondern eine Berufung aus. Ich denke, das stimmt. Im Januar habe ich aufgehört, freue mich aber darüber, wie viele Menschen sich immer noch an mich wenden.

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