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Schwierige Worte. Autor Christian Stahl (rechts) hat ein persönliches Buch geschrieben. Sein Protagonist Yeha E. konnte zur Lesung nicht kommen: Er ist wieder im Gefängnis. Seinen Part übernahm der Comedian Murat Topal, früher Polizist in Neukölln.

© DAVIDS

Intensivtäter Yehya E.: Fortsetzung von "Gangsterläufer": Nichts Neues aus Neukölln

Es sollte eine Erfolgsgeschichte sein, doch der Star des Films „Gangsterläufer“ wurde rückfällig. In einem Buch hat der Autor Christian Stahl nun die Fortsetzung verarbeitet.

Es ist die Geschichte seines Lebens. Doch die Hauptfigur aus „In den Gangs von Neukölln“ konnte bei der Premiere des eigenen Buches nicht dabei sein. Der Grund ist bedrückend. Yehya E. sitzt seit Oktober 2013 wieder im Gefängnis. Bekannt ist er aus der preisgekrönten Dokumentation „Gangsterläufer“, für die ihn der Journalist und Filmemacher Christian Stahl mehrere Jahre begleitet hat. Es sollte eine Erfolgsgeschichte sein, doch die Geschichte nahm einen anderen Verlauf.

Schon in frühen Jahren hatte der in Neukölln aufgewachsene und zwischenzeitliche Rütli-Schüler eine kriminelle Laufbahn hingelegt. Seine erste Straftat begann er mit sieben Jahren. Mit 17 wurde er wegen eines Raubüberfalls zu drei Jahren Haft verurteilt.

Doch nach dem Film galt der Hauptdarsteller als Vorzeigeaussteiger, der es geschafft hatte, der kriminellen Szene Neuköllns zu entfliehen. Er wurde als Streitschlichter bei der Polizei eingesetzt, Politiker wollten ihn kennenlernen. An diesen Erfolg wollte Christian Stahl anknüpfen. Geplant war ein Buch über Yehyas gelungene Resozialisierung. Yehya selbst wollte „den geraden Weg gehen“, wie er es in dem Buch formuliert. Er träumte von einem Übergang in ein bürgerliches Leben, weit weg vom kriminellen Milieu der Sonnenallee. Er hätte ein Vorbild für andere Straftäter sein können.

Vorurteilen etwas entgegensetzen

Stahl hatte schon mit dem Schreiben begonnen, als ihn die Nachricht von Yehyas Verhaftung erreichte. „Ich war wütend und fassungslos“, erzählte er bei der Buchvorstellung am Montagabend im Heimathafen Neukölln. „Ich wusste nicht, ob wir das Buch noch zu Ende schreiben könnten. Und ob ich es überhaupt wollte“. Fünf Monate habe er nach der Verhaftung nicht mit ihm sprechen können. Als Kopf einer Bande war Yehya E. an Überfällen beteiligt. Für mindestens fünf Jahre sitzt er in Haft.

Doch dann las Christian Stahl in Zeitungen, die von Yehyas Rückfall in die Kriminalität schrieben, als sei das ein Erfolg. Stahl dachte, er müsse „jetzt erst recht“ den vielen Vorurteilen über arabische Jugendliche, „die es sowieso zu nichts bringen“, etwas entgegensetzen. Yehyas Anwalt Rüdiger Portius nennt das Buch „ein gelungenes Gegenstück zu den Thesen von Thilo Sarrazin“. Stahl sagt, er wolle damit einen „differenzierten Beitrag“ zur Integrationsdebatte leisten.

Man kann es aber auch als eine Kritik an einer verfehlten Flüchtlingspolitik der vergangenen Jahrzehnte lesen. Yehya ist Sohn palästinensischer Flüchtlinge aus dem Libanon. Als Säugling kam er nach Deutschland. Seit 23 Jahren ist er nur geduldet. Er hat einen Realschulabschluss, aber keine Arbeitserlaubnis. Auch als er nach seiner Haftentlassung sein Abitur nachholen wollte, kam ihm die Ausländerbehörde dazwischen. „Ironischerweise ist der einzige Ort, an dem er legal arbeiten darf, der Knast“, sagt Stahl. Jederzeit drohe ihm die Abschiebung. Mit seinen Straftaten hat er selbst dazu beigetragen; seine eigene Situation verschärft. Doch auch sein Vater, der niemals eine Straftat begangen hat, war nach Aussagen des Autors dreizehn Jahre mit einem Arbeitsverbot belegt und musste einen Blumenladen wieder schließen. Was wäre aus einem Yehya geworden, der anders aufgewachsen wäre? Was, wenn er und seine Brüder in dem Geschäft ihrer Eltern hätten aushelfen können, anstatt auf der Straße herumzuhängen, fragt Stahl

Geschichte über ein Stück Berlin

Das Buch ist persönlich geschrieben. Beide erzählen darin, wie sie sich als Nachbarn in der Sonnenallee im Jahr 2005 im Hausflur kennenlernten und zu Freunden wurden. Es enthält amüsante Passagen über Stahls erste Kontakte zur „arabischen Parallelgesellschaft“. Der Autor schlägt aber auch ernstere Töne an, wenn er über seine Fassungslosigkeit berichtet, als er von den kriminellen Auswüchsen seines damals noch minderjährigen Freundes erfuhr. Auch Yehya kommt mit seinen eigenen Eindrücken zu Wort. Abgedruckt sind außerdem zahlreiche Briefe, die er dem Autor aus den unterschiedlichen Haftanstalten schrieb. Um kriminell zu werden, musste er sich selbst belügen, analysiert Yehya darin. „Ich brauchte diese Ausreden für mich selbst, um mein Gewissen und mich zu verarschen.“

Keinesfalls wolle Stahl mit seinem Buch Raubüberfälle und weitere kriminelle Taten rechtfertigen, sagt er. Ihm sei es darum gegangen, das zerrissene Leben eines eigentlich talentierten, ehrgeizigen jungen Mannes zu porträtieren. Gelungen ist ihm eine lesenswerte Geschichte über ein Stück Berlin.

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