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Und tschüss! Jetzt sind die Formationen von Kranichen zum Beispiel gut über Kremmen im nördlichen Havelland zu beobachten. Die Tiere sind zwar Zugvögel, fliegen aber nicht mehr immer sonderlich weit. Unterwegs rasten sie gern in Brandenburg. Foto: ZB /Patrick Pleul

© ZB

INTERVIEW: Der Flug der Quasselstrippen

Nach Einbruch der Dunkelheit schnattern derzeit Scharen von Wildgänsen über den Köpfen der Berliner. Sind die Vögel Quasselstrippen oder warum machen sie solchen Lärm?

Nach Einbruch der Dunkelheit schnattern derzeit Scharen von Wildgänsen über den Köpfen der Berliner. Sind die Vögel Quasselstrippen oder warum machen sie solchen Lärm?

Wildgänse sind äußerst kommunikativ. Sie verfügen über mehr als ein Dutzend verschiedene Rufe. Ihre keilförmigen Flugformationen beim Vogelzug bestehen aus zahlreichen kleinen Familienverbänden, die sich untereinander verständigen. Die Verwandtschaft passt auf, dass keiner verloren geht, sie signalisieren: Ich habe Hunger. Wie weit ist es noch? Oder: Ich kann nicht mehr. Wenn eine führende Gans die Position wechseln will, wird auch das weitergeschnattert. Am Boden informieren sie sich unter anderem über neue Futterplätze. Die Äußerungen sind derart spezifisch, dass sich Familienangehörige gut erkennen können.

Woher kommen die Wildgänse?

Am Berliner Himmel sieht man derzeit vor allem die nordischen Gänse. Dazu gehören die Saatgans und Blässgans. Beide verbringen den Sommer in der russischen Tundra, wo sie auch brüten. Im September/Oktober brechen sie zu ihrer rund 2000 Kilometer weiten Reise nach Mitteleuropa auf. Hier sind die winterlichen Temperaturen für sie erträglich. Die Saat- und Blässgänse sind übrigens etwas kleiner als unsere heimische Graugans.

Gehen Graugänse auch auf die Reise?

Von ihnen stammen unsere Hausgänse ab. Vor einigen Jahrzehnten zogen auch sie los – bis nach Spanien. Heute leben viele ganzjährig in der Region. Die Winter sind milder geworden, bieten ihnen genügend Futter. Im Herbst nutzen sie die Erntereste auf Stoppelfeldern, im Winter und Frühjahr zupfen sie die Blattspitzen von Kulturen wie Wintergetreide und Raps. Als Feinschmecker schätzen sie das junge frische Grün, zumal das besonders eiweißreich ist.

Wohin wollen die nordischen Gänse denn eigentlich?

Ihre Route führt über das Baltikum und Polen nach Brandenburg. Das bewältigen sie oft innerhalb weniger Tage. Bei uns sind sie dann schon fast am Ziel, da insbesondere viele Saatgänse bereits in Brandenburg überwintern. Auf der Zwischenrast werden bestimmte Rast- und Schlafgewässer aufgesucht, zum Beispiel der Gülper See nördlich von Rathenow. Das ist ein traditioneller Wildgänse-Treff, dort versammeln sich im zeitigen Herbst zehntausende Vögel. Vor allem die Blässgänse starten dann zu einer letzten Etappe zu ihren bevorzugten Überwinterungsgebieten am Niederrhein und in den Niederlanden.

Und wie orientieren sie sich?

Sie haben sehr gute Augen. Vermutlich haben sie eine grobe Landkarte im Kopf, erkennen Flussläufe, Waldgebiete, Küstenlinien oder Höhenzüge wieder, über die sie schon mal geflogen sind. Dabei zeigen die Alten ihren Jungvögeln, wo’s langgeht. Sie ziehen in Höhen von 100 bis 1000 Metern über Land. Orientierungshilfen sind auch Sonnenstand und Sternenhimmel.

Sind Gänse lieber tagsüber oder nachts unterwegs?

Das hängt vor allem vom Wetter ab oder vom Futterangebot an den Rastplätzen. Gibt es wenig zu fressen, drängt es sie weiter. In mondhellen Nächten können sie ja problemlos losziehen. Vielleicht überfliegen sie Berlin besonders gerne nachts, weil die Stadt so hell erleuchtet ist.

Thomas Heinicke

ist Biologe und der Wildgans-Experte des Biosphärenreservates Flusslandschaft Elbe-Brandenburg.

Mit ihm sprach Christoph Stollowsky.

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