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© dpa

Interview: "Es werden mehr deutsche Täter"

Richterin Kirsten Heisig über die Aussichten, die Jugendkriminalität in den Griff zu bekommen.

Frau Heisig, das Neuköllner Modell zur schnelleren Bekämpfung von Jugendkriminalität wird ab Juni in ganz Berlin angewandt. Bereits drei Wochen nach der Tat soll dann die Gerichtsverhandlung stattfinden. Vorher müssen sich Polizei, Staatsanwaltschaft, Jugendgerichtshilfe und Richter absprechen. Klappt das?



Ja, wir haben das nach Startschwierigkeiten schließlich auch in Neukölln hinbekommen. Viele haben jetzt schon Erfahrung mit dem Verfahren. Mit etwa 40 Jugendrichtern in Berlin sind wir auch personell ganz gut aufgestellt. Allerdings sind die beschleunigten Verfahren kein Allheilmittel, sondern nur ein Baustein bei der Eindämmung von Kriminalität.

Was für Startschwierigkeiten hat es 2008 denn gegeben?

Wir haben das Ganze als Modell in Neukölln gestartet. Mit den Beamten des Abschnitts 55 der Polizeidirektion 5. Dieser Abschnitt ist für den Kiez zuständig, aus dem auch die Täter kommen, die bei mir im Gerichtssaal landeten: der Rollbergkiez im Norden des Bezirks. Auf so einem Abschnitt arbeiten rund 200 Polizisten, und die haben alle Hände voll zu tun. Die kann man nicht alle in ein paar Wochen komplett in eine neue Vorgehensweise einarbeiten. Der Schulungsbedarf war also groß. Außerdem waren einige in den Behörden etwas argwöhnisch, ich hatte die Umsetzung der beschleunigten Verfahren mit den Beamten vor Ort nämlich unmittelbar besprochen und mich vorher beispielsweise nicht mit dem Polizeipräsidenten beraten, dass man den Verfahrensweg bei jungen Wiederholungstätern etwas anders organisieren könnte. Gleich bei den Kollegen auf der Wache anzufangen, war vielleicht ein bisschen unkonventionell, manche sagen auch: naiv. In der Praxis muss dann der Beamte auf der zuständigen Wache im Kiez aber auch erkennen: Macht ein Schnellverfahren in diesem oder jenem Fall Sinn? Die Polizeiführung hat aber insgesamt schnell reagiert und ein Schulungskonzept entwickelt.

Beraten Sie derzeit die anderen Bezirke bei der Einführung des Verfahrens?


Dazu sind die Jugendrichter selbst in der Lage. Ich beteilige mich an den Schulungen der Sachbearbeiter bei der Polizei und auf den Abschnitten und freue mich sehr darüber, dass Polizei, Jugendämter und Justiz nun an einem Strang ziehen.

Beschreiben Sie doch mal den typischen Jugendlichen hinter einer Ihrer Fallakten?

Er ist männlich, 14, 15 Jahre alt und oft Teil einer einschlägig auffälligen Clique. Er hat schon mehrere Verfahren hinter sich und zeigte sich dabei Polizisten, Jugendamtsmitarbeitern und Lehrern gegenüber gleichgültig. Meist hat er mit einem Diebstahl oder einer Sachbeschädigung angefangen und manchmal mit einer kleineren Raubtat weitergemacht. Weil wir mit dem Modell in Neukölln gestartet sind, waren viele Jugendliche aus Einwandererfamilien dabei. Nun wird es auch auf Bezirke ausgeweitet, in denen klassisch deutsche Familien dominieren. Selbst in Zehlendorf werden Fälle hinzukommen. Insgesamt werden es mehr junge Täter mit ausschließlich deutschem Hintergrund.

Mehr als 15 000 Taten von Jugendlichen werden jedes Jahr in Berlin bekannt. Bis zu 1500 Verfahren könnte es jährlich nach dem Neuköllner Modell geben, denn so viele Fälle erfüllen dafür die Kriterien. Ist das mit der vorhandenen Personalstärke zu schaffen?


In der Justiz selbst gibt es ausreichend Mitarbeiter. Wenn, sind eher mehr Polizisten nötig, denn inzwischen hat die Stadt nur noch rund 16 000 von ihnen. Es waren mal 20 000, und ich wage zu bezweifeln, dass tatsächlich weniger passiert. Meiner Wahrnehmung zufolge zeigen die Menschen höchstens weniger an. Viele glauben, eine Anzeige bringe sowieso nichts. Andere haben Angst, weil sie die Täter am nächsten Tag wieder bei sich im Kiez auf der Straße treffen. Wer will schon gegen prügelnde Nachbarn aussagen, wenn er nicht sicher ist, dass die danach erst mal hinter Gitter landen?

Berlin gilt bundesweit als Vorreiter im Kampf gegen Jugendkriminalität. Sehen Sie das auch so?

Ja, in Deutschland sind wir am weitesten. Allerdings habe ich mich auch in Rotterdam in den Niederlanden umgeschaut. Dort arbeiten Vertreter aller beteiligten Ressorts in den Problemvierteln in kleinen Teams zusammen: Jugendhilfe, Polizei, Justiz, wenn es nötig ist auch die Bauaufsicht. Die Niederländer sind da sehr pragmatisch. Aber Rotterdam selbst ist mit nicht mal 600 000 Einwohnern jedoch auch deutlich kleiner als Berlin.

Bei den jungen Wiederholungstätern ist offensichtlich schon ganz früh etwas schiefgelaufen. Ist das überhaupt eine Sache der Strafjustiz?

Da liegt einiges im Argen. Eltern haben die Pflicht, sich um ihre Kinder zu kümmern, sie zu erziehen. Können oder wollen sie das nicht, kann der Staat eingreifen. Etwa durch seine Jugendämter. In Deutschland wird das Elternrecht sehr wichtig genommen, und so sind auch die Hürden hoch, bevor der Staat in desolate Familien eingreifen kann. Dabei besteht zuweilen die Gefahr, dass beim Abwägen zwischen Elternrechten und dem Kindesschutz zu wenig in die Elternrechte eingegriffen wird und das kann den eigenen und anderen Kindern schaden.

Ist das ein Plädoyer für mehr Heimunterbringung?


Nicht unbedingt, aber man muss darüber nachdenken können, denn der Staat hat eine Wächterfunktion. Und Kinder haben ein Recht auf Fürsorge und Erziehung. Die meisten Heime sind allerdings nicht ausreichend ausgestattet – denn wenn Kinder schon außerhalb der Familie untergebracht werden, sollen sie es dort ja besser haben als zu Hause.

Das Interview führte Hannes Heine

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