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Interview mit Ausbildungsleiter: „Keinerlei Nähe zur Arbeitswelt“

Der Ausbildungsleiter der Bayer AG über Berlins Schulmisere, schwache Azubis und die ungenutzte Chance des Ganztagsunterrichts.

Am Dienstag gab es neue Hiobsbotschaften: Abermals liegt Berlin bei einer Bildungsstudie auf den hinteren Plätzen – vor allem wegen Mathe und Deutsch. Muss da ein großer Ausbildungsbetrieb wie die Bayer AG nicht an einen Standortwechsel denken?

Im Gegenteil. Wir haben ausgezeichnete Rahmenbedingungen, weil es in einer so großen Stadt einen sehr großen Bewerberpool gibt. Außerdem gibt es die drei großen Universitäten, aus denen wir den akademischen Nachwuchs rekrutieren. Berlin ist ein sehr guter Standort.

Sehen das alle Ausbildungsbetriebe so?

Sicherlich nicht. Vor allem kleine und mittlere Betriebe haben Probleme, genug geeignete Bewerber zu bekommen. Das ist eine schwierige Situation.

Was beanstanden die Betriebe?

Es fängt schon damit an, dass Grundlagen wie das Prozentrechnen, Flächenberechnung oder der Dreisatz oft nicht beherrscht werden. Zu beobachten sind auch Mängel in der mündlichen und schriftlichen Darstellung: Wenn Schüler beim Bewerbungsgespräch gefragt werden, warum sie sich für einen bestimmten Beruf interessieren, und sich die Antwort in einem „Ich finde das Schulfach interessant“ erschöpft, dann stellt das die Betriebe natürlich nicht zufrieden. Und wenn die Bewerber beim Aufnahmetest dazu nur zwei oder drei Sätze mit Rechtschreibfehlern zu Papier bringen, ist das auch keine gute Voraussetzung.

Klagen über immer schwächere Azubis gibt es jedes Jahr. Liegt das nicht am subjektiven Empfinden der Ausbildungsleiter?

Schön, wenn es so einfach wäre. Wenn man aber die Ergebnisse der Einstellungstests über viele Jahre vergleicht, sieht man, dass das Niveau beim Rechnen und Schreiben nachlässt. Zudem gibt es ein wachsendes Problem mit Absolventen aus sozial schwachen Familien, die durch ihre häusliche Umgebung keinerlei Nähe zur Arbeitswelt oder zur dualen Ausbildung haben: Sie kennen einfach niemanden, der da als positives Vorbild dienen könnte. Das ist ein großes Problem, das sich negativ auf die Bewerbungsmotivation der Schüler auswirkt.

Wie können Schulen dagegen angehen?

Schüler sollten bereits ab der siebten Klasse mit dem Thema Berufsorientierung in Berührung kommen, um einen Bezug zur Arbeitswelt zu erhalten. Zurzeit ist es so, dass eine Beschäftigung mit der eigenen Berufswahl vielfach erst ab der neunten Klasse beginnt. Das ist zu spät: Berufsorientierung sollte eines der wichtigsten Fächer sein. Hierauf muss sich dann auch die Wirtschaft einstellen.

Und wie lassen sich die Mathe- und Deutschkenntnisse verbessern?

Um diese Defizite anzugehen, die aus der Grundschule mitgebracht werden, wäre ein Basisunterricht im Lesen und Schreiben in der Sekundarschule sinnvoll.

Aber dann schaffen die Schulen den übrigen Rahmenplan nicht mehr.

Hier könnten doch die Möglichkeiten der Ganztagsschulen wesentlich mehr ausgeschöpft werden: Die Nachmittage werden oftmals noch zu wenig genutzt, um die Schüler gezielt zu fördern. Stattdessen gibt es oft reine Betreuung.

In Ländern wie China gibt es keine Sorgen über fehlende Fachkräfte: Hier gibt es Millionen glänzend ausgebildeter Akademiker. Gerät Deutschland ins Hintertreffen?

Wir müssen gewiss aufpassen, dass wir den Innovationsvorsprung nicht verlieren. Aber wir sollten auch nicht zu pessimistisch sein. Wenn man sieht, wie anlässlich von „Jugend forscht“ jedes Jahr hunderte Schüler mit tollen Ideen und eloquentem Auftreten zusammenkommen, habe ich keine Sorge, dass wir auf einem guten Weg sind – auch in Berlin.

Die Fragen stellte Susanne Vieth-Entus

Gerhard Schauer, 52, ist Leiter Ausbildung bei der Bayer Pharma AG am Standort Berlin und Vorsitzender

des Berufsbildungsausschusses der

Industrie- und

Handelskammer.

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